© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Kennenlernen via Internet: Geschlechter-"Taxierung" in der Single-Börse
Liebe auf den zweiten Klick
Erol Stern

Wir leben - besonders in Ballungsräumen - in einer Singlegesellschaft. Je nach Bundesland variiert deren Anteil an der Gesamtbevölkerung zwischen einem Viertel und einem Drittel. Dabei nutzt rund die Hälfte der Alleinstehenden die neuen Möglichkeiten, die sich im World Wide Web auftun. Zu den großen Erfolgsgeschichten im eBusiness zählen folglich die der Single-, Flirt- und Partnervermittlungsseiten und Chaträume. Der virtuelle Flirt belegt mittlerweile den dritten Rang hinter den Klassikern Disco und Arbeitsplatz. Annoncen in Zeitungen oder Zeitschriften vertrauen dagegen nur etwa 17 Prozent. Seinen Partner über das Internet zu finden, ist daher nicht mehr selten. Bereits circa 15 Prozent der Internetsurfer haben so ihren Partner kennengelernt - in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen.

Vorteile auch für Eingespannte, zeitlich und örtlich unabhängig

Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob dieser Kontaktanbahnung die Zukunft gehört. Nach dem "Gesetz der großen Zahlen" müßte die Antwort eindeutig ausfallen: Je mehr Kontakte man knüpft, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, den oder die Richtige kennenzulernen. Hierbei sorgt die Quantität automatisch auch für die Qualität. Wer es also richtig anstellt, kann sowohl effektiv als auch effizient binnen kurzer Zeit viele "Bekanntschaften" machen.

Darunter leiden natürlich der Kontaktanzeigenmarkt, die klassischen Partnervermittlungsagenturen - die in der Vergangenheit durch Kostenstruktur und Geschäftspraktiken nicht immer seriös arbeiteten - und die in ihren Möglichkeiten doch etwas eingeschränkten Singleparties. Sogenannte Speed-Dating-Veranstaltungen, wo Partnersuchende in festgelegten Zeiträumen ihre ständig wechselnden Gegenüber kurz "beschnuppern", um sich später bei Sympathie und Gefallen näher kennenlernen zu können - wiederum boomen.

Was sich zunächst nach berechnenden Strategien von Marketingprofis anhört, bietet jedoch auch zeitlich und beruflich sehr eingespannten Flirtsuchenden handfeste Vorteile. Im Netz kann man, solange man will, anonym bleiben und ist zeitlich und örtlich unbeschränkt. Außerdem kann man sich bei mehreren Diensten gleichzeitig anmelden. Geschützt durch Phantasienamen gehen viele Surfer mit mehr Selbstvertrauen in den Flirt, auch sonst Schüchterne fassen durch die Distanz den fehlenden Mut und sehen ein entscheidendes Plus: Das Aussehen spielt keine Rolle.

Die Singlebörsen basieren dabei auf den gleichen Grundprinzipien: Man füllt einen Fragebogen aus, der über Interessen und Vorlieben Auskunft gibt. Nach dem Motto "Gleich und gleich gesellt sich gern" oder aber nach dem Credo "Gegensätze ziehen sich an" berechnet das hinterlegte System ein Profil, welches mit denen der anderen auf Übereinstimmungen abgeglichen wird.

Eine oft genutzte Funktion ist auch das Einstellen von Fotos. Darüber hinaus bieten Flirtseiten Dienste wie Nachrichtenübermittlung, Chaträume oder Datingspiele an. Auch umfangreiche Suchfunktionen, die mögliche Traumpartner nach Alter und Wohnort selektieren lassen, fehlen nicht. Im Gegensatz zu den angebotenen SMS-Chats sind die Flirtseiten zumeist kostenlos oder wenigstens kostengünstig.

Nachteile nicht zu vergessen, unkalkulierbare Risiken

Wie alles im Leben haben Kontaktseiten nicht nur Vorteile. Dies fängt schon mit der Preisgabe persönlicher und intimer Daten bei der Anmeldung an, deren Weitergabe und Verwendung als kostbares Wirtschaftsgut sich nur schwer kontrollieren lassen. Ferner treiben sich in Partnerbörsen naturgemäß viele Spaßvögel mit getürkten Identitäten herum, die sich jedoch meist durch ihr plumpes Auftreten schnell selbst entlarven, beispielsweise durch zu offensichtlich in Aussicht gestellte "Erotik".

Einen gewissen Schutz bieten folglich Bezahldienste. Den echten Gefahren, also Sittenstrolchen oder Heiratsschwindlern begegnet man zum Teil auf Betreiberseite durch Ausweiskontrollen, die jedoch einen zusätzlichen Aufwand bedeuten. Generell empfiehlt es sich daher besonders für die Damenwelt, bei einem Rendezvous den gesunden Menschenverstand eingeschaltet zu lassen. Doch auch das schützt nicht unbedingt vor Risiken, wie die Geschichte des liebeshungrigen Italieners beweist, der nach dem Kontakt auf einer Internetseite unwissend seine eigene Ehefrau anrief, was mit einer Scheidung endete.

Dennoch überwiegen bei der Online-Partnersuche die Vorteile. Ergänzend zu den konventionellen Formen des Kennenlernens bieten sich hier einsamen Herzen viele Optionen für ein gemeinsames Glück. Denn die Chancen stehen bedeutend besser, als wenn man vor dem Telefon sitzend darauf wartet, daß sich der oder die "Richtige" verwählt oder in der Hausnummer irrt. Dennoch ist das Internet kein Garant für eine erfolgreiche und harmonische Partnerschaft, geschweige denn kann man sich Liebe bei eBay ersteigern. Die zwischenmenschlichen Aspekte einer Beziehung verlaufen nach wie vor in analogen Bahnen.

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