© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Eckstöße: Marginalien zur Fußball-WM (Folge IX)
Das Ende der Konsumflaute
Arthur Hiller

Etwa 40 Millionen Deutsche sind nach der Einschätzung von Verbraucherforschern an der Fußball-Weltmeisterschaft interessiert. Ihnen bietet sich in diesen Wochen die Gelegenheit, ihr Konsumverhalten zur Gänze auf dieses Großereignis hin auszurichten. Wurst in Form eines Fußballschuhs, Sammelbildchen in Schokoriegeln, Joghurts mit Fußballmotiven, WM-Backmischungen, WM-Weine, Erfrischungsgetränke in der limitierten WM-Sammeldose, die Weltmeister-Bahncard, Bikinis und Dessous in den Farben der teilnehmenden Mannschaften, die Mastercard FIFA WM 2006, die obligatorischen Accessoires der Sportbekleidung für den TV-Hooligan - es gibt kaum einen Bereich des alltäglichen Lebens, der sich nicht durch eine hübsche Marketing-Idee mit dem Turnier der 32 Nationen verknüpfen ließe.

Nicht zuletzt Kinder kommen auf ihre Kosten: Eine konzentrierte Ausrichtung ihres Konsums auf ausgewählten Brotaufstrich und Süßwaren gleicher Herkunft ermöglicht es ihnen, durch Sammelpunkte begehrte Schätze aus dem DFB-Fanshop zu ergattern. 1.408 Kindern aus 40 Ländern eröffnet McDonald's die Chance, die Nationalspieler als Eskorte auf das Spielfeld zu begleiten, dazu sollen 500.000 Bewerbungen eingegangen sein. Eine breite Vielfalt von Starbildern in unterschiedlichster Form, mit und ohne Sammelalben, erzieht Jugendliche zu ökonomischer Rationalität, da sie gezwungen sind, ihre wahren Präferenzen zu erkennen und ihre knappen Taschengeldressourcen entsprechend einzusetzen.

Eine professionelle Terminkoordination für Jung und Alt während des Turniers stellen die diversen WM-Planer sicher. Durch ergänzende Hintergrundinformationen und die Möglichkeit, Spielvoraussagen, Torschützen und Kommentierungen zu vermerken, heben sich hier die kostenpflichtigen Verlagserzeugnisse von jenen Gratisheftchen ab, mit denen Tageszeitungen oder Tankstellen punkten wollen.

Das Naserümpfen der Fußballagnostiker ist durch einen sachlichen Verweis auf ökonomische Daten in die Schranken zu verweisen. Fünf Millionen zusätzliche Übernachtungen erwartet die Tourismusbranche. Allein die ausländischen Gäste der Weltmeisterschaft werden etwa 25 Milliarden Euro ausgeben. Das gebeutelte Gastronomiegewerbe erwartet nach Jahren der Flaute erstmals wieder ein Umsatzplus. Das Turnier könnte sich nach der Auffassung von Wirtschaftsexperten mit 0,3 Prozent im diesjährigen Wachstum niederschlagen. Für den Dax wird gar eine Steigerung von 11 Prozent prognostiziert. Sollte es auf diese Weise tatsächlich zu einer Wirtschaftswende kommen, wäre sie also nicht der Teamchefin Angela Merkel und ihrer schwarz-roten Equipe, sondern allein Franz-die-Lichtgestalt-Beckenbauer zu verdanken.


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