© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Wale vor Kanaren in Seenot
Tierschutz: Meeressäuger stranden durch Einfluß von Sonargeräten / US-Militär zeigt sich unbeeindruckt
Hans-Ulrich Pieper

Die Kanarischen Inseln sind Besuch gewöhnt. Vor 30 Jahren kamen die ersten Touristen, inzwischen sind es zwischen acht und zehn Millionen ausländische Besucher im Jahr. Seit einigen Monaten kommen immer mehr - eher unerwünschte - schwarzafrikanische Wirtschaftsflüchtlinge, denn die Kanaren gehören geographisch zwar zu Afrika, politisch aber seit dem 15. Jahrhundert zu Spanien und damit inzwischen auch zur EU (JF 14/06). Und jetzt kommen die Wale.

Innerhalb von wenigen Tagen sind sechs tote Meeressänger an den kanarischen Küsten gefunden worden. Experten vermuten, daß die Tiere Opfer von Militärübungen geworden sind. Die kanarischen Grünen haben eine parlamentarische Anfrage zu dem Thema eingebracht und wiesen darauf hin, daß die USA vor der Küste des West-Saharagebietes Militärmanöver im Rahmen der Pan-Sahel-Initiative (PSI) durchführten.

Der erste tote Wal wurde Mitte März vor der kleinen kanarischen Insel El Hierro gesichtet. Es handelte sich um einen etwa 20 Tonnen schweren, elf Meter langen Pottwal, der sich bereits im Zustand der Verwesung befand. Die Todesursache konnte nicht genau bestimmt werden, da der Walkadaver nicht strandete. Allerdings wies er keinerlei Spuren eines Zusammenstoßes mit einem Bootskörper auf.

Ende April sind zwei tote Wale auf El Hierro gefunden worden, die an der Playa de la Madera im Küstenbereich von Sabinosa gestrandet waren und bei Behörden und Touristen große Aufregung verursachten. Die beiden über drei Meter langen Schnabelwale zeigten ebenfalls weder Spuren eines Zusammenstoßes mit einem Boot noch sonstige äußere Verletzungen. Anwohner wußten zu berichten, daß die Tiere noch am Leben waren, als sie strandeten. Eine erste Untersuchung hat ergeben, daß es sich um Gervais-Zweizahnwale (Mesoplodon europaeus) handelt, eine Spezies, die in kanarischen Gewässern noch nie zuvor gesichtet worden ist.

Zwei Tage später wurde vor La Gomera ein Zwergpottwal (Kogia breviceps) tot auf dem Meer treibend gefunden. Es handelte sich um ein Weibchen, das einen etwa drei Monate alten Fötus im Bauch trug. Nur einen Tag später wurden zwei tote Wale bei Fuerteventura entdeckt, ein junges Pottwal-Weibchen im Norden im Bereich Montana Roja und ein indischer Grindwal im Süden beim Barranco de los Mosquitos, in einer schwer zugänglichen Bucht. Die Universität von Las Palmas schickte Experten, um die Todesursache der Wale festzustellen.

An den kanarischen Küsten sind in der Vergangenheit wiederholt massive Strandungen toter Wale beobachtet worden. Stets hatten kurz zuvor Flottenmanöver mit LFAS-Sonargeräten (Low Frequency Active Sonar) stattgefunden, die zum Aufspüren von U-Booten dienen. Dabei werden Schallwellen von niedriger Frequenz und hoher Intensität ausgesendet, die Objekte auf Hunderte Kilometer Entfernung orten können, gleichzeitig aber die Meeres-tierwelt erheblich akustisch belasten und offensichtlich lebensbedrohlich für Meeressäuger sind.

Im September 2002 waren nach einer solchen Militärübung nicht weniger als 14 Schnabelwale an den Küsten Lanzarotes und Fuerteventuras verendet. Eine Untersuchung der Kadaver durch englische und spanische Wissenschaftler ergab, daß die Tiere an der zuvor bei Walen unbekannten Taucherkrankheit litten. Die Experten kamen zu dem Ergebnis, daß die Sonar-Signale die Wale vermutlich zu schnell auftauchen und stranden lassen. Durch die Druckänderung bei zu schnellem Auftauchen entstehen Gasblasen, die Blutgefäße verstopfen und das Gewebe schädigen können.

Daß die Sonargeräte der Marine schädlich sind, hat sich inzwischen herumgesprochen. Nach der Klage einer Umweltorganisation hatte sich die spanische Marine im Herbst 2003 bereit erklärt, den Gebrauch der Geräte einzuschränken. Im Sommer 2004 kam es nach einem Nato-Manöver erneut zu Massenstrandungen von Walen auf den Kanaren. Im Oktober 2004 verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, die ein Moratorium für den Einsatz von Militärsonar-Systemen vorsieht.

Im November 2004 entschied das Madrider Verteidigungsministerium, Seeübungen vor den Kanaren vorerst zu verbieten. Nur die US-Militärs, die gerade ihre Manöver beendet haben, kümmert das wenig.

Foto: Grindwal: Nach einem Nato-Manöver kam es erneut zu Massenstrandungen von Walen auf den Kanaren


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