© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Der Nebel lichtet sich nur langsam
Potsdam: Neue Erkenntnisse im Fall Ermyas M. / Zweifel an einem rechtsextremistischen Motiv / Ermittlungen dauern an
Tobias Westphal

Ermyas M. schwebt nicht mehr in Lebensgefahr. Diese gute Nachricht stammt von den behandelnden Ärzten aus der Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinik. Gleichzeitig ist diese Auskunft eine der wenigen Nachrichten, die in diesem Fall als gesichert gelten können. Auch zweieinhalb Wochen nach der Tat kann die Frage, wie es zu der schweren Verletzung des Ermyas M. gekommen ist, nicht zweifelsfrei beantwortet werden.

Zwei Männer sollen in Brandenburgs Hauptstadt am Ostersonntag um vier Uhr früh den aus Äthiopien stammenden 37 Jahre alten Deutschen überfallen und lebensgefährlich verletzt haben. Das Opfer erlitt eine schwere Schädelverletzung. Laut ersten Presseberichten hätten beide Täter den Deutsch-Afrikaner "brutal zusammengeschlagen", zuvor beschimpften sie ihn als "Nigger" und "blödes Schwein". Dies wurde auf dem Anrufbeantworter des Mobiltelefons der Frau des Opfers aufgezeichnet. "Hau ab, du Nigger", sei auf der Aufzeichnung zu hören und: "Wir machen dich platt." Die Schläger sollen zudem 200 Euro und einen Schlüsselbund gestohlen haben. Sie seien vor einem Taxifahrer geflüchtet, der dem Überfallenen zu Hilfe kam.

Da die Staatsanwaltschaft von Anfang an wegen Mordversuchs mit fremdenfeindlichem Hintergrund ermittelte, sprach die Presse zunächst unisono von einem "rassistischen Überfall", "Neonazi-Überfall" oder "rechtsradikalem Hintergrund". Laut Medien soll einer der beiden Täter eine Glatze und eine kräftige Statur haben und eine Bomberjacke getragen haben. Die Ermittlungen wegen Mordversuchs zog der Generalbundesanwalt Kay Nehm an sich. Denn die Tat "sei geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen", und habe zudem eine "besondere Bedeutung".

Vier Tage nach dem Überfall nahmen die Fahnder zwei deutsche Tatverdächtige fest. Entgegen ersten Berichten geht aus den Mitteilungen der Polizei nichts über die Gesinnung der Verdächtigen hervor. Die Meldungen lauteten seitdem, es handele sich noch um einen "mutmaßlichen Rechtsradikalen". Jedoch erklärte die Bundesanwaltschaft, daß "erhebliche Verdachtsmomente" vorliegen, "daß die Täter die Tat aus Ausländerhaß und auf der Grundlage einer rechtsextremistischen Gesinnung" begangen hätten. Die Bild-Zeitung berichtet, einer der Festgenommenen habe einen rechtsradikalen Hintergrund. Zudem sei er der Polizei wegen Drogendelikten und Waffenhandels bekannt. Laut einem anderen Zeitungsbericht habe ein DNA-Test ergeben, daß am Tatort gefundenes Blut von einem Verdächtigen stamme. Generalbundesanwalt Nehm bestätigte nur, daß einer der Verdächtigen für die am Tatort gefundene DNA-Spuren in Betracht komme.

Aus "Sicherheitskreisen" wird demgegenüber berichtet, das Opfer Ermyas M. habe zur Tatzeit 2,08 Promille Alkohol im Blut gehabt. Laut Spiegel meinen Zeugen, das spätere Opfer sei zuvor in einer Diskothek mit zwei Skinheads in Streit geraten. Außerdem sei durch einen Gerichtsmediziner festgestellt worden, daß das Opfer nur durch einen einzigen Faustschlag niedergestreckt wurde. Ermyas M. habe keine Rippenbrüche oder andere Verletzungen am Oberkörper erlitten. Demzufolge haben die vermeintlichen Täter nicht auf das am Boden liegende Opfer eingetreten, wie zuvor berichtet wurde. Die Aufzeichnungen des Mobiltelefons der Ehefrau des Opfers hätten zudem ergeben, daß Ermyas M. die beiden Männer als "Schweinesau" bezeichnet habe. Die Märkische Allgemeine schreibt, Ermyas M. sei aggressiv gewesen und habe seine beiden Gegner beschimpft. Laut Süddeutscher Zeitung gebe es Zeugen, die das Opfer belasten: Dieser soll die vermeintlichen Täter zuerst getreten haben.

Die beiden Beschuldigten leugnen die Tat und jede Verbindung zum Rechtsradikalismus. Über sie liegen nach Erkenntnissen von Polizei als auch Verfassungsschutz keine Hinweise auf eine Nähe zur rechtsextremen Szene vor. Die taz meldete, einer der Tatverdächtigen sei ein enger Freund eines Neonazis. Einer rechtsextremen Organisation gehöre der Beschuldigte jedoch wahrscheinlich nicht an. Laut anderen Medien ist nach Angaben von Ermittlern einer der Beschuldigten Mitglied eines Motorradclubs, einer Gruppe mit "hohem Gewaltpotential".

Je länger die Ermittlungen andauern, desto konfuser werden diese: Laut Medien solle einer der beiden tatverdächtigen Männer sich selber den Szenenamen "Hitler" gegeben haben. Auch hätten Opferhilfegruppen diesen als Mitglied der rechtsextremen Szene Potsdams bezeichnet. Zudem sei der Spitzname bisher als Hinweis für einen rechtsradikalen Hintergrund gewertet worden. Nun berichtet die Süddeutsche jedoch, der in Untersuchungshaft sitzende Mann habe zwar ein ähnliches Aussehen und sogar den gleichen Namen, sei jedoch nicht identisch mit dem Tatverdächtigen: Es habe eine Verwechselung gegeben.

In diesem Wust von Informationen ist wohl nur eines sicher: Die Ermittlungen zum Tathergang und zum Hintergrund der Tat dauern an.

Foto: Passanten am Tatort in Potsdam: Anderer Tathergang als zunächst angenommen


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