© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Würdigung mit angezogener Handbremse
Die aktuelle Biographie des Generalfeldmarschalls Erich von Manstein des französischen Historikers Benoît Lemay
Beo Bachter

Erich von Manstein hat Konjunktur. Nachdem zuletzt auch deutsche populärwissenschaftliche Schriftsteller mit öffentlich-rechtlicher Massenwirksamkeit (Guido Knopp) diesen herausragenden militärischen Führer in der Galerie von "Hitlers Kriegern" porträtiert hatten, bemüht sich nun ein professioneller französischer Historiker, Benoît Lemay, darum, von Mansteins Lebensleistung zu würdigen. Auf 550 Seiten liegt der Schwerpunkt der Darstellung eindeutig bei den militärischen Leistungen und - wie kann es anders sein - den "Verstrickungen" von Mansteins mit dem nationalsozialistischen Regime. So gewinnt der Leser auch mentalitätsgeschichtlich eine gute Darstellung des Innenlebens jener Militärs, für die das Dritte Reich einen grandiosen beruflichen Aufstieg bedeutete.

Die Schilderung von Mansteins Rolle bei der Ausarbeitung des Aufmarschplans gegen Frankreich wertet weite Teile der verfügbaren Quellen aus. Besondere Dichte gewinnt die Darstellung indessen beim Ostfeldzug. Hier ist die Eroberung der Krim, insbesondere die Ausschaltung Sewastopols, als besonders detaillierte Schilderung der Ereignisse Glanzpunkt des Buches. Immerhin gelang es von Manstein, mit der 11. Armee diese damals als stärkste Festung der Welt geltende Stadt gegen eine zahlenmäßig weit überlegende Rote Armee im Sommer 1942 zu erobern.

Die folgenden Teile des Buches, die Tragödie von Stalingrad, der Kampf um die Stabilisierung der russischen Südfront, der Mißerfolg des "Unternehmens Zitadelle" bei Kursk im Sommer 1943, sind ebenso flüssig wie spannend geschrieben, präsentieren aber keine neuen Quellen. Lemays Porträt von Manstein ist aber nicht deshalb lesenswert, weil es bekannte Quellen sorgfältig auswertet, sondern weil sich der Autor besonders intensiv mit der Frage beschäftigt, warum sich von Manstein trotz seines Prestiges und seiner hellsichtigen Analyse der militärischen Lage dem Widerstand des 20. Juli bis zuletzt verschlossen hatte.

Die Beschäftigung Lemays mit von Manstein endet an dieser Stelle nicht mit einer Verurteilung, sondern eher mit einem Fragezeichen. Immerhin schildert Lemay, daß der damalige Oberst von Manstein am 21. April 1934 als einziger Offizier der Wehrmacht eine Protestnote an das Truppenamt verfaßte, um gegen den sogenannten Arierparagraphen zu protestieren, der die Entfernung von jüdischen Offizieren aus der Wehrmacht gebot.

Doch seine Geradlinigkeit in Ehrenfragen führte von Manstein nahezu zehn Jahre später nicht weiter bei der Frage der politischen Opportunität des Widerstandes. Auf ungefähr sechzig Seiten zeichnet Lemay die Irrungen und Wirrungen einer Zeit, bei der die militärischen Entscheidungen und der zeitliche Druck ihres Zustandekommens für politische Bewegungen wenig Platz ließen. Lemay beschreibt die Gespräche zwischen von Manstein, Beck, Schulenburg, Stauffenberg und Tresckow, die trotz der Übereinstimmung in der Abneigung gegenüber Hitler als obersten Befehlshaber allesamt nichts an der Auffassung von Mansteins änderten: "Preußische Generäle meutern nicht". Dennoch liefert Lemay nicht ein einziges Argument, das die Titelthese seines Buches rechtfertigen würde: Denn von Manstein war nie der "Stratege Adolf Hitlers", sondern jener Militär, der ihm am häufigsten widersprochen hat.

Benoît Lemay: Erich von Manstein: Le stratège de Hitler. Editions Perrin, Paris 2006, gebunden, 557 Seiten, 24,50 Euro

Foto: Erich von Manstein (1887 - 1973)


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