© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Die unendliche Geschichte der neuen Bukarester Kathedrale
Rumänien: Das religiöse Leben ist trotz Finanzproblemen im Gegensatz zu Mitteleuropa höchst lebendig / Selbst Kommunisten gingen heimlich in die Kirche
Matthias Schultz

Wenn man in Bukarest Bus fährt, hat man als westlicher Besucher den Eindruck, als ob vor allem die Frauen kein Vertrauen in die Künste des Fahrers hätten. Denn ständig bekreuzigen sie sich. Erst nach einer Weile fällt auf, daß sie es immer dann tun, wenn eine Kirche am Fenster des meist völlig überfüllten Gefährts vorbeizieht. Und davon steht in der Hauptstadt eigentlich an jeder Ecke und in fast jedem Hinterhof eine. Fast könnte man meinen, man sei in Rom, wären da nicht überall diese häßlichen Plattenbauten.

Selbst der rücksichtslose KP-Diktator Nicolae Ceausescu ließ einige Gotteshäuser lieber verschieben als sprengen. Und heimlich ging sogar so mancher KP-Genosse in die Kirche, um sich taufen oder trauen zu lassen. So verwundert es nicht, daß auch heutzutage die Kirchen beileibe nicht verwaist sind. Selbst unter der Woche drängen sich die Menschen in den traditionell eher kleinen Gebäuden, küssen die Ikonen und stehen an den Reliquien Schlange. Nach 42 Jahren kommunistischer Herrschaft sind in Rumänien bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 22 Millionen offiziell nur knapp 9.200 Bürger ohne Bekenntnis.

Schon die Jahrhunderte osmanischer Fremdherrschaft haben zumindest in religiöser Hinsicht kaum Spuren hinterlassen. Bis heute leben weniger als 68.000 Moslems in dem Land. Auch die unter den Habsburgern lebenden Rumänen blieben Konstantinopel treu. 1054 waren sie vom Papst im Rahmen der endgültigen Kirchenspaltung exkommuniziert worden. Erst 1965 wurde dieser Bann offiziell aufgehoben, und im Jahre 2000 besuchte mit Johannes Paul II. nach über tausend Jahren erstmals wieder ein Papst ein orthodoxes Land.

Die Rumänen verstehen es vielleicht aufgrund ihrer wechselvollen Geschichte so gut wie kein anderes Volk der Erde, sich an ihre jeweiligen, meist fremden Herrscher anzupassen, ohne die eigene Identität aufzugeben. So verwundert es auch nicht, daß nach Jahrzehnten nur schleppender Förderung von kirchlichen Neubauten in dem Land seit 1990 ein wahrer Bauboom für Gotteshäuser ausgebrochen ist. Besonders in den Plattenbau-Vorstädten, in denen die Kommunisten keine Kirchen einplanten, werden jetzt welche errichtet.

Auch ein schon seit langem gehegter Wunsch soll nun in Erfüllung gehen, nämlich eine Kathedrale in Bukarest zu errichten, wo der Patriarch der unabhängigen rumänisch-orthodoxen Kirche auf dem Metropolit-Berg seinen Sitz hat. In Sichtweite übrigens des Hügels, auf den auch der letzte kommunistische Machthaber seinen gigantischen "Palast des Volkes" gesetzt hat und von wo aus eine mächtige Aufmarschtrasse, der Bulevardul Unirii, ihren Ausgangspunkt nimmt. Auf dieser Achse sollte ursprünglich einmal das neue Gotteshaus plaziert werden.

Zunächst wurde aber ein Wettbewerb unter den Architekten des Landes ausgeschrieben. Der Gewinner Augustin Ioan entwarf für diese Lage ein Gotteshaus, das mit Abmessungen von knapp 200 Metern Länge, 40 Metern Breite und 75 Metern Höhe auf die ebenfalls nicht gerade bescheidene Randbebauung des Boulevards reagierte. Auf einem hohen Sockel mit Gemeinderäumen sollte sich dort eine Kirche erheben, mit einer Art Atrium als lang gestrecktem Vorhof. Ioans größte Schwierigkeit bei der Planung war zunächst jedoch, einen Kompromiß zwischen seinem eigenen Anspruch als moderner Gestalter und den extrem konservativen, weil orthodoxen Regeln und Vorstellungen der Kirche zu vermitteln.

Denn selbst das bauliche Programm wird dort ziemlich genau geregelt, weshalb orthodoxe Kirche einander auch viel ähnlicher sehen als katholische oder gar evangelische. Herausgekommen ist ein Entwurf in Ravenna-Marmor, Alabaster und Naturstein unter einer modernen Beton-Konstruktion mit viel Platz für die obligatorischen Wandfresken. Doch nicht nur zum Beten und Beichten sollten die Leute dann hierher kommen, Ioan konzipierte seinen Entwurf auch als sozialen Treffpunkt und - für eine orthodoxe Kirche, die es sogar verbietet, sanitäre Einrichtungen unmittelbar in den Bau zu integrieren, besonders außergewöhnlich - mit einer von allen Besuchern benutzbaren Dachterrasse.

Dann entschloß man sich aber anders und wollte die Kirche lieber in einen denkmalgeschützten Park setzen. Dagegen gab es natürlich vehemente Proteste, so daß man sich schließlich auf die ohnehin riesige Freifläche direkt hinter dem in seinen Ausmaßen pharaonisch anmutenden Volkspalast einigte. Dort hätte das Projekt nun endlich verwirklicht werden können, wenn es nicht wieder Streit um das liebe Geld gegeben hätte. "Wenn irgendwo ein sündhaft teures Bürogebäude hochgezogen wird, regt sich keiner auf. Sobald es aber um eine Kirche geht, kommt gleich das Gegenargument: Geldverschwendung!" erzürnt sich Augustin Ioan und hat dabei vor allem seine Lieblingsgegner im Visier, nämlich die durchaus existenten Atheisten aus der intellektuellen Fraktion.

So wird das Drama um den Neubau der Kathedrale vermutlich noch ein bißchen andauern - aber schließlich ist die Idee einer eigenen Kathedrale eigentlich auch schon über achtzig Jahre alt.

Foto: Metropolit-Kathedrale in Bukarest: Den Osmanen standgehalten


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