© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Sowjetische Zwangsjacke für die deutsche Arbeiterklasse
SED: Vor sechzig Jahren wurden SPD und KPD in der Ostzone zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zwangsweise zusammengeschlossen
Ekkehard Schultz

Nur wenige Schritte von Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße entfernt befindet sich der ehemalige Admiralspalast. Dort fand am 21./22. April 1946 unter dem Schlagwort der Wiederherstellung der "Einheit der Arbeiterklasse" eine professionelle Inszenierung statt, die mit einem symbolischen Handschlag zwischen KPD-Chef Wilhelm Pieck und dem Vorsitzenden der Berliner SPD, Otto Grotewohl, endete. Beide Parteien gingen in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) auf.

Klare Mehrheit war gegen eine sofortige Vereinigung

Dem symbolischen Handschlag lag alles andere als eine demokratische Entscheidung zugrunde. Eine Abstimmung, in der die Mitglieder beider Parteien in freier Wahl ihre Meinung zur geplanten Verschmelzung ausdrücken konnten, wurde von der Sowjetischen Besatzungsmacht nicht gestattet. Bei einer Urabstimmung der SPD in allen Westzonen Berlins, die am 31. März 1946 stattfand, sprachen sich bei einer Wahlbeteiligung von 72,9 Prozent 82 Prozent gegen eine sofortige Vereinigung aus.

Entgegen dem von den Sowjets erhobenen Vorwurf, diese Entscheidung sei von einigen "reaktionären Köpfen" der Sozialdemokraten gezielt forciert worden, konnte zum damaligen Zeitpunkt von einer gesteuerten Feindschaft keine Rede sein: Immerhin 62 Prozent der SPD-Mitglieder in den Berliner Westsektoren hatten sich gleichzeitig mit der Ablehnung einer sofortigen Verschmelzung mit der KPD aber für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Kommunisten ausgesprochen. Dennoch wurde dieses Votum in seiner Gesamtheit ignoriert.

Noch bis Anfang Dezember des Jahres 1945 waren von seiten der KPD kaum Bemühungen erkennbar, die auf die Herstellung einer Einheitspartei innerhalb von nur vier Monaten deuteten. Dies änderte sich erst, nachdem die ersten Nachkriegswahlen in Ungarn sowie in Österreich stattgefunden hatten. Gab es bereits in Ungarn für die Kommunisten eine schwere Niederlage, so fiel das Ergebnis bei den ersten Nationalratswahlen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg noch verheerender aus.

Trotz der massiven Unterstützung durch die sowjetische Besatzungsmacht erhielt die KPÖ lediglich fünf Prozent der Stimmen. Die SPÖ vereinigte dagegen mehr als das Achtfache auf sich, die absolute Mehrheit errang die bürgerliche ÖVP. Obwohl eine Koalition aus allen drei Parteien gebildet wurde - wie bereits vor der Wahl abgesprochen worden war -, konnten die Kommunisten darin nur geringen Einfluß entfalten. Das Ergebnis spiegelte die realen Machtverhältnisse innerhalb des Arbeiterlagers schonungslos wider. Aus einer solchen Position heraus war die Erringung einer Schlüsselstellung, von der die Kommunisten eine entscheidende Kontrolle über alle wichtigen gesellschaftlichen Belange entfalten konnte, nahezu unmöglich.

Für die Sowjetische Besatzungsmacht in Deutschland galt es daher, ein ähnliches Ergebnis bei den für den Herbst 1946 angesetzten Landtagswahlen unter allen Umständen zu verhindern. Zu diesem Zweck propagierte nun die KPD massiv ihre Forderung nach der "Einheit der Arbeiterklasse". Jeder, der Zweifel an diesem Plan oder der Geschwindigkeit hegte, mit der er ausgeführt werden sollte, galt von nun an als "Feind": So heißt es etwa in einer Resolution, die am 24. Dezember im mecklenburgischen Torgelow verabschiedet wurde, unmißverständlich: "Jede Maßnahme, die sich gegen den Zusammenschluß der beiden Arbeiterparteien auswirkt; jede Unterlassung, die den Zusammenschluß der beiden Arbeiterparteien hintertreibt, ist ein Verbrechen gegen das deutsche Volk, gegen die deutsche Arbeiterschaft."

"Schumacher-Agenten " in sowjetische Speziallager

Wer es nun noch wagte, in der Sowjetischen Besatzungszone Kritik an der beabsichtigten Vereinigung offen zu äußern, mußte als vermeintlicher "Schumacher-Agent" mit schweren Strafen rechnen. Sie reichten von der Versetzung aus öffentlichen Ämtern bis zur Einweisung in die sowjetischen Speziallager. Nicht wenige Sozialdemokraten wurden an diesen Orten - die sich oftmals unmittelbar auf dem Gelände von ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslagern befanden - inhaftiert, die dort bereits im NS-System repressiert worden waren.

Innerhalb der Einheitspartei erhielten die Kommunisten durch die Vereinigung in den zunächst paritätisch besetzten Parteigremien eine Macht, die ihnen aufgrund ihrer Mitgliederzahl und ihrer proportionalen Stärke gegenüber der Sozialdemokratie unter keinen Umständen zugestanden hätte. Von Anfang an beschränkten die Kommunisten den Aktionsradius der verbliebenen Sozialdemokraten. Mit Recht bezeichnet der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Peter Steinbach, in einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe von Freiheit und Recht ihren weiteren Werdegang als "erzwungenen Prozeß der politischen Ausgrenzung, Ausschaltung und Homogenisierung freiheitlich-demokratischer Sozialismusvorstellungen".

Mit der Bildung der SED war Walter Ulbricht (inzwischen einflußreichstes Mitglied im KPD-Zentralkomitee) seiner bereits im April 1945 bei seiner Ankunft aus dem Moskauer Exil verkündetem Ziel, "alles in der Hand zu haben", einen großen Schritt nähergekommen.

Der ehemalige Kommunist und Mitglied der Ulbricht-Gruppe Wolfgang Leonhard urteilt daher ebenfalls in der aktuellen Ausgabe von Freiheit und Recht über die Folgen der Verschmelzung treffend: "Die Zwangsvereinigung ... war die wichtigste Voraussetzung der kommunistischen Monopolherrschaft. Die Diktatur war geschaffen, bevor die formelle Gründung der DDR im Herbst 1949 über die Bühne ging. Die Antwort kam mit dem stark sozialdemokratisch geprägten mächtigen Aufstand vom 17. Juni 1953, der nur durch den Einsatz der sowjetischen Truppen niedergeschlagen werden konnte."

Foto: SED-Wappen


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