© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Zu schön, um wahr zu sein
Eine Geschichte, die vielleicht nie geschrieben, aber Fleisch ward: Roland Aeschlimanns "Parsifal"-Inszenierung in der Oper Leipzig
Konrad Pfinke

Am Anfang war das Wort. Es steht geschrieben, und das Wort ward Fleisch. Vielleicht wäre diese Formel eine angemessene Umschreibung der Idee, die Roland Aeschlimanns Inszenierung des "Parsifal" (die aus Genf übernommen wurde) in der Oper Leipzig zugrunde liegt.

Im Bild des Ausstatters, der sein eigener Regisseur ist, dominieren zunächst Namen: die Namen der wenigen "Parsifal"-Protagonisten und der vielen Figuren der mittelalterlichen Arthus- und Gralsromane. Einer von ihnen hieß und heißt Parsifal. Sein Name ist geschrieben im großen Buch der Geschichten, in dem Gurnemanz die höhere Wahrhaftigkeit der "Parsifal"-Geschichte wiederfindet - bis der reine Tor kommt und den Schwan tötet. Stand das nicht geschrieben - denn der Mönch zerreißt wütend das Blatt mit dem Foto des Schwans, und wir grübeln, ob die Geschichte sich hier in eine noch nie geschriebene verwandelt.

Zugegeben: Roland Aeschlimanns unaktionistische, doch sensibel geführte Inszenierung läßt dem Zuschauer einen großen Deutungsspielraum - ein wenig zuviel, denn er stellt weder Fragen an das Stück, noch gibt er Antworten. Daß der Gral in Form eines schwebenden Dodekaeders erscheint, ist eine sinnvoll offene Lösung, aber sie sagt uns nichts über das Gralsrittertum. Daß Amfortas (der präsente, beglückend textverständliche Peter Weber) ein Bild des leidenden Heilands als Schlüssel zum Gral benutzt, verweist auf christliche Restbestände des Stoffs, bleibt aber beliebig.

Wieso Parsifal zu der Erkenntnis kommt, welche Rolle die Wunde spielt, wie problematisch und fragwürdig überhaupt der ganze Stoff ist: Das ahnt man nicht einmal, selbst wenn Petra Lang als Kundry von Rang den stimmlich wie darstellerisch gut aufgelegten Stefan-Vinke-Parsifal angemessen verführt.

Wenn Gurnemanz (auch er glänzend in seiner makellosen, nachdrücklichen Diktion: Alfred Reiter) am Ende als buddhistischer Mönch auftritt und die Gralsritterschaft des Karfreitagszaubers als Armee von Buddha-Statuen von Kundry buchstäblich entdeckt wird, verweist der Regisseur auf die asiatischen Urgründe der Wagnerschen Bearbeitung - aber der Hinweis auf östliche Seelenwanderungslehren bleibt ebenso ein Zitat wie Kundrys Rolle als femme fatale der Wagner-Zeit.

Die blondperückten Blumenmädchen kommen auch hier aus Klingsors Retorte, und der Zauberer selbst im mittlerweile traditionellen Lederwams ist nicht übermäßig charismatisch, aber gut bei Stimme (Jürgen Kurth). Die "Erlösung" ist zu schön, um wahr zu sein: Kundry liegt christusgleich in Amfortas' Armen, und Parsifal verschwindet im Dunkel des Grals.

Nein, die Inszenierung ist nicht unspannend, birgt auch einige schön abgedunkelte, schlichte und doch wirksame Bilder auf fast leerer Bühne, aber sie bleibt unter dem Niveau jüngerer "Parsifal"-Inszenierungen, die sich mutig in die Untiefen des Werks begeben. Auch die orchestrale Interpretation ist ein wenig unentschieden: Zwischen breitesten Tempi (die Vorspiele) bis zu dramatisch und lyrisch entwickelten Partien ist unter Ulf Schirmer alles vertreten - und man hört von neuem, daß das Werk für den Bayreuther Graben komponiert wurde, wenn auch die Gewalt der Gralsmärsche an diesem Abend zutiefst erschüttert. Schade, daß diese Intensität der Inszenierung, bei allen gelungenen Details, im Ganzen abgeht.

Foto: Parsifal (Stefan Vinke): Fragen bleiben ungefragt und unbeantwortet

Die nächsten "Parsifal"- Aufführungen in der Oper Leipzig, Augustusplatz 12, finden statt am 23. April sowie am 13. und 20. Mai. Kartentelefon: 03 41 / 12 61-11


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