© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Ein zutiefst gespaltenes Land
Italien: Prodis Mitte-Links-Union erringt knappen Sieg / Koalition von Ex-Christdemokraten bis zu den Altkommunisten notwendig
Paola Bernardi

Italien bleibt ein zutiefst polarisiertes Land. Mitte-Links-Oppositionsführer Romano Prodi beharrt auf sei-nem hauchdünnen Sieg und ruft aus, Ministerpräsident Silvio Berlusconi "solle endlich nach Hause gehen". Eine angebotene Große Koalition nach deutschem Vorbild lehnt er rigoros ab.

Der Noch-Premier kontert, "sie haben noch nicht gewonnen" und verlangt eine Neuauszählung der bis zu anderthalb Millionen ungültigen Stimmen. Berlusconi hält sich und sein Mitte-Rechts-Bündnis Casa delle libertà für "die moralischen Sieger". Er will seine Niederlage bei den Parlamentswahlen erst nach der Verkündung des amtlichen Endergebnisses anerkennen.

Sein "Haus der Freiheiten" hatte auf der Untersuchung bestanden, nachdem Prodis Union nur aufgrund von nicht einmal 25.000 Stimmen die Sitzmehrheit im Abgeordnetenhaus erlangt hatte. Da man in Rom Wahlurnen auf dem Müll fand und andere Unregelmäßigkeiten bekannt wurden, fühlte sich Berlusconi in seinem Anspruch nach Überprüfung bestärkt. Prodi hatte zunächst gehofft, möglichst schnell von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi den Regierungsauftrag zu erhalten. Doch der 85jährige frühere Zentralbankchef, der 1996 in Prodis erster Amtszeit als Premier dessen Finanzminister war, will die Konstituierung des neuen Parlaments Ende April und die schwierige Wahl eines neuen Staatspräsidenten am 12. und 13. Mai abwarten. Ciampis siebenjährige Amtszeit endet am 18. Mai. Sein Nachfolger - ein Kandidat ist der sozialistische Ex-Premier Giuliano Amato - soll dann die neue Regierung vereidigen. Der Machtwechsel in Rom wird sich hinziehen.

Der "moralische Sieger" dieser äußerst häßlichen Wahl, die von Diffamierungen und Verleumdungen von beiden Seiten gekennzeichnet war, ist trotz allem Silvio Berlusconi. Denn die aus über einem Dutzend Parteiengruppierungen vereinte linke Union unter Prodi hatte diesen Wahlkampf zu einer Volksabstimmung über Berlusconi hochstilisiert - doch der erhoffte klare Sieg blieb aus. 49,805 zu 49,739 Prozent lautet das vorläufige Ergebnis bei den 47 Millionen Wahlberechtigten für die Abgeordnetenkammer. Für den Senat ergab sich bei den nur 43 Millionen Wahlberechtigten (Wahlalter 21, Mehrheitssystem) sogar ein Übergewicht von etwa 400.000 Stimmen für die Mitte-Rechts-Parteien - und dies bei einer extrem hohen Wahlbeteiligung von 84 Prozent. Dank des auf Druck von Berlusconis Koalitionspartnern eingeführten neuen Wahlrechts erhielt aber auch hier Prodis Union eine Mehrheit.

Trotz gewaltiger Mobilmachung und einer regelrechten Dämonisierung der Person Berlusconis - unter Schützenhilfe auch ausländischer Medien - gab es aber keine klare Abwahl von Berlusconi. Alle hatten seine gewaltige Zugkraft unterschätzt. Als er vor zwei Monaten in den Wahlkampf eingriff, wendete sich schlagartig das Blatt. Dies hatte niemand erwartet. Der hauchdünne Linkssieg wird aber durch einen - ebenfalls neuen - Sieger-Bonus für die Mehrheitskoalition versüßt. Prodi kann daher auf mindestens 340 Abgeordneten in der Kammer zählen.

"Ein historisches Mißtrauen gegenüber der Linken"

Berlusconis rechtsliberale Forza Italia bleibt aber trotz Verlusten stärkste Einzelpartei in Italien. Die Rechte hat zudem fast den gesamten Norden erobert: von Turin bis Triest. Denn überall da, wo die italienische Industrie blüht -Piemont, Lombardei, Venetien und Friaul-Julisch-Venetien - gewannen die Mitte-Rechts-Kräfte.

"Im fortschrittlichsten und europareifen Teil des Landes herrscht noch immer ein historisches Mißtrauen gegenüber der Linken", erklärte Massimo Cacciari, Philosoph und Bürgermeister von Venedig und selbst ein Linker, diese Wahlergebnisse. Im Süden gewann die Rechte in Latium (mit Ausnahme von Rom) sowie in Apulien und besonders hoch in Sizilien.

Prodis Linke konnten erneut in Mittelitalien, in den roten Hochburgen in der Toskana und der Emilia, triumphieren. "Ein Land auf Messers Schneide", schrieb die Turiner La Stampa. Und der im Wahlkampf Berlusconi-kritische bürgerlich-liberale Mailänder Corriere della Sera titelte: "Zwei Italien - getrennt und verfeindet".

Die größten Verlierer dieser italienischen Parlamentswahl aber waren die Meinungsforscher. Monatelang sahen die Prognosen für die Linken äußerst günstig aus, sie sagten bis zu 20 Prozent Vorsprung voraus - und dann dieser totale Einbruch. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2005 sahen die deutschen Demoskopen allerdings ähnlich schlecht aus.

Prodi, der bei seinem Wahlkampf ohne eigene Partei angetreten war, muß zudem feststellen, daß seine Union einen gravierenden Linksrutsch gemacht hat. Verluste mußte nämlich das ihm nahestehende christlich-linksliberale Bündnis Margherita unter dem ehemaligen römischen Bürgermeister Francesco Rutelli hinnehmen. Zugelegt haben hingegen die drei Parteien, die nach 1991 aus der "Partito Comunista Italiano" hervorgegangen sind: Die postkommunisten Linksdemokraten (DS) von Ex-Premier Massimo D'Alema, die orthodoxen Altkommunisten (PRC) und die Partei der italienischen Kommunisten (PdCI).

Die PdCI von Armando Cossutta spaltete sich übrigens Ende 1998 von der PRC ab. Deren Chef Fausto Bertinotti hatte der damaligen Regierung wegen "neoliberaler" Tendenzen das Vertrauen entzogen und so Prodi als Premier zu Fall gebracht. Cossutta und die Mehrheit der PRC-Abgeordneten wollten hingegen das linke Ulivo-Bündnis an der Macht halten. Wie ein so inhomogenes Bündnis die von Prodi versprochenen notwendigen strukturellen Reformen vornehmen soll, bleibt dessen Geheimnis.

Foto: Altkommunist Bertinotti vor Anhängern in Rom: 1998 brachte er Premier Prodi schon einmal zu Fall

 

Parlamentswahlen 2006 in Italien

L'Unione (Mitte-Links)       %      Sitze     2001 (%)

 

L'Ulivo (DS/Margherita) 31,26 220 31,1

Altkommunisten (PRC) 5,84 41 5,0

Sozialdemokraten (Rosa) 2,60  18 2,2

Kommunisten (PCI) 2,32  16 1,7

Linksliberale (Di Pietro)  2,30   16 3,9

Grüne (Feder. dei Verdi)  2,05  15 -

Volkspartei (Udeur) 1,40  10 2,4

Rentnerpartei (PP)  0,88  - 0,2

Südtiroler Volkspartei 0,48 4 0,5

I Socialisti (V. Craxi) 0,30  - -

Sonstige  0,37  - -

L'Unione (Mitte-Links) 49,085 348

Forza Italia (FI) 23,71 137 29,4

Alleanza Nazionale 12,34 71 12,0

Christdemokraten (UDC) 6,76  39 3,2

Lega Nord 4,58  26 3,9

Nuovo DC / Nuovo PSI  0,75   4 1,0

AS (A. Mussolini)  0,67  - 0,2

Fiamma Tricolore (MSI) 0,61  - 0,4

No Euro (R. Rabellino) 0,15  - -

Sonstige 0,17 - -

Casa delle Libertà 49,739 281

Wahlbeteiligung 83,5 Prozent

 

Mitte-Links

Bündnis 158 Sitze im Senat (mit Sitzen für Auslandsitaliener)

Mitte-Rechts

Bündnis 156 Sitze im Senat (mit Sitzen für Auslandsitaliener)

Zusätzlich 7 Senatoren auf Lebenszeit und ein Unabhängiger

 

Foto: Vorläufiges Wahlergebnis für Abgeordnetenkammer in Rom: Berlusconis Bündnis hat fast den gesamten Norden Italiens erobert


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen