© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Bitter enttäuscht
Die Bundesregierung als Nutznießer der Enteignungen
Curd-Torsten Weick

Allein die statistischen Angaben zur sogenannten Bodenreform in Thüringen geben ein Bild der Zerstörung wieder. Demnach wurden bis zum Stichtag 31. Dezember 1949 28 Schlösser, 209 Herrenhäuser, 120 Gutswohnhäuser, 671 Gutsställe, 568 Gutsscheunen sowie 865 sonstige Gutsgebäude abgerissen oder zerstört. Die neuen Herrscher wollten den Dörfern, dem ländlichen Raum und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) überhaupt eine neue Struktur geben und ließen zwischen 1945 und 1960 keinen Stein auf dem anderen.

In Wellen wurden die bisherigen Stützen der Gesellschaft verfolgt, enteignet und vertrieben. Zwischen 1945 und 1949 nahm man die "Junker", Landwirte, Industrielle und mittelständischen Unternehmer im Zuge der sogenannten Boden- und Industriereform ins Visier sozialistischer Vergesellschaftung. Die "Kollektivierung" von mehr als 800.000 bäuerlichen Betrieben folgte zwischen 1952 und 1960.

Ergebnis dieser zweiten Welle: Im Arbeiter- und Bauernstaat wurde gerade der Bauer und mit ihm das traditionelle dörfliche Leben abgeschafft. Tausende Bauern flohen in den Westen und hinterließen eine kollektivierte Brache, die sich auch in der Folgezeit nicht erholte. Und so erklärt Ulrich Kluge, anerkannter Experte für die Agrargeschichte der SBZ und DDR, die Folgen: "In Zahlreichen Dörfern ist heute der soziale Friede noch immer nicht wiederhergestellt: Sein Fehlen bewirkt den Niedergang der Dorfkultur, ohne Dorfkultur kein Anreiz zum Aufbau familiärer Existenz, daraus resultieren Abwanderung und soziale Verödung."

Auch Zehntausende mittelständische Unternehmer flohen als Konsequenz auf Konfiskation und Zwangskollektivierung gen Westen, gründeten dort ihren Betrieb neu - und waren dennoch nicht ganz für ihre Heimat verloren. Mit einem Funken Hoffnung auf eine Wiedervereinigung, die Worte von einem "Null und nichtig" in puncto Enteignung aus dem Bundestag und Parteien im Ohr, verließen sich viele auf eine wie immer auch geartete Rückgabe des Eigentums am Sankt-Nimmerleinstag.

Der kam dann schneller als gedacht. Doch die vielfach zu Engagement und Investition Bereiten wurden bitter enttäuscht. Im Zuge des Einigungsprozesses wollte die Regierung Kohl nichts von Rückgabe, geschweige denn von Entschädigungen wissen. Trotz nachfolgender Äußerungen des sowjetischen Präsidenten Michael Gorbatschow, die für eine andere Deutung der Sachlage gewertet werden können, wird die Nichtrückgabe als unabdingbare sowjetische Bedingung zur Wiedervereinigung dargestellt. Diese Haltung wurde 1991, 1996 und 2004 in drei Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) bestätigt und für rechtmäßig erachtet.

Am Anfang der Einheit stand eine Lüge

"Am Anfang der Einheit stand eine Lüge", schrieb daraufhin Michael Naumann im Januar 2004 in der Zeit, Kritiker sprechen auch heute von "Verfassungsbruch" sowie von "Lüge", und Karl Feldmeyer kommt im Treffpunkt, dem Mitteilungsblatt der Allianz für den Rechtsstaat e.V., zu dem einfachen, aber erschütternden Urteil: vertriebener Mittelstand - verlorene Arbeitsplätze. "Wenn die Zahl der Arbeitslosen der einstigen DDR bei zwanzig Prozent und darüber liegt, dann hat das auch mit der Weigerung zu tun, das Unrecht der Boden- und Industriereform so weit wie möglich zu korrigieren."

Foto: "Bodenreform"-Agitation: Zugleich gegen "Junker" und Bauern


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