© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Kolumne
Nachhaltiger Einfluß
Klaus Motschmann

Berlins Kultursenator Thomas Flierl (Links-partei) hat Ende März heftige Kritik aus allen politischen Lagern auf sich gezogen, wenn auch in abgestufter Form. Anlaß war sein Verhalten auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der SED-Diktatur, die von einer Seilschaft hoher Stasi-Funktionäre massiv gestört und damit umfunktioniert worden ist. Es wurde kritisiert, daß er der Agitation des "Stasi-Packs", den "Schergen" und "Kerkermeistern" des SED-Regimes - so die ungewohnte Tonart mehrerer Beiträge - nicht entgegengetreten sei, sondern beredt geschwiegen habe. Flierl selber hat selbstkritisch "Fehlverhalten" eingeräumt.

Diese Auseinandersetzung wirft - wieder einmal - ein aufschlußreiches Schlaglicht auf die geistige und politische Verfassung der rot-roten Regierungskoalition in Berlin und ihrer publizistischen Schildknappen. Sie verdeckt gekonnt die Tatsache, daß 15 Jahre nach der Vereinigung Deutschlands offenkundig noch immer erhebliche Probleme bei der Beurteilung des DDR-Sozialismus bestehen, weil eine umfassende Aufarbeitung dieser sogenannten zweiten Vergangenheit unseres Volkes noch nicht erfolgt ist, von einigen beachtenswerten Arbeiten einmal abgesehen.

Dafür gibt es eine sehr einfache Erklärung. Eine derartige Aufarbeitung müßte zwangsläufig auf die engen Verbindungen der Stasi zu ihren westdeutschen Ablegern - gewissermaßen einer Meta-Stasi -führen, die sich in Gesellschaft und Politik bilden konnten, vor allem in Institutionen unserer Mediokratie. Sie haben einen nachhaltigen Einfluß auf den Prozeß unserer veröffentlichten Meinung gehabt, der bis heute nachwirkt - nicht zuletzt auch bei den Stasi-Aktivisten. Ihre Hauptfunktion für die SED beziehungsweise Stasi bestand darin, jede grundsätzliche Kritik am Marxismus/Sozialismus/Kommunismus als "Indiz auf den Hitler in uns" abzuwehren und die Legende von der "Entartung" des Sozialismus zu popularisieren. Millionen und aber Millionen Opfer sozialistischer Gewaltherrschaft in allen Teilen der Welt haben den Glauben an das "unaufgebbare Humanum" im Sozialismus nicht erschüttert. Welche Veranlassung sollten die Stasi-Aktivisten von damals und heute haben, über ihre Einstellungen nachzudenken, wenn sie keine Verurteilung ihrer ideologischen Grundierung zu befürchten haben? Daran wird sich nichts ändern, solange derartige Auseinandersetzungen auf das Fehlverhalten eines Senators und auf Störaktionen alter Stasi-Aktivisten konzentriert werden können.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


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