© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Frisch gepresst

Danzig. Erich Keyser (1893-1968) ist der Fritz Gause (1893-1973) Danzigs, und doch hat die "Königin an der Weichsel" nach 1945 durch ihn keine Gauses Königsberger Stadtgeschichte vergleichbare monumentale Würdigung erfahren. Auch von polnischer Seite ist seit 1945 diese Lücke nicht gefüllt worden, so daß immer noch Paul Simsons dreibändiger, im 17. Jahrhundert endender Torso von 1913/18 als bedeutendster Versuch einer "Gesamtdarstellung" zu werten ist. Frank Fischer, 1968 im Erzgebirge geboren, war unbekümmert genug, die von Keyser hinterlassene Aufgabe anzupacken (Danzig. Die zerbrochene Stadt, Propyläen Verlag, Berlin 2006, 416 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro). Insgesamt hält sich Fischer in der Präsentation von Archivmaterial bescheiden zurück. Zwangsläufig entsteht bei ihm aus der Sekundärliteratur meistens nur Tertiäres. Insoweit liefert Fischer eine solide Danziger Popular-geschichte. Konsequent im Interesse einer kompakten, wesentliche Literatur verwertenden Darstellung ist deshalb auch die Konzentration auf die politische Geschichte, während die Wirtschafts- und Sozialgeschichte nur "mitläuft". Aber oft genug ist es vor allem ab 1793, als Danzig seine Selbständigkeit einbüßte, nur noch die "große Politik", mit der Stadtgeschichte lediglich als Appendix, die Fischer mit Siebenmeilenstiefeln durcheilt. Für die Geistes- und Kulturgeschichte, insbesondere des 18. bis 20. Jahrhunderts, erweckt er ohnehin den Eindruck, als habe die in Danzig gar nicht stattgefunden. Aber mehr als die Geburt Schopenhauers hat man an der Mottlau dann doch zu bieten.

Die Plancks. Astrid von Pufen-dorf beginnt ihre Biographie des im Schatten seines weltberühmten Vaters, des Physik-Nobelpreisträgers Max Planck, stehenden Sohnes Erwin mit einem prägnanten "Ersten Satz": "Es ist immer wieder erstaunlich, welche ungeho-benen Schätze unseres geistigen und kulturellen Erbes sich auf dem sprichwörtlichen Dachboden oder im undurchdringlichen Dickicht der Archive finden lassen." In der Tat: Man kann kaum glauben, daß der ungemein umfangreiche, heute in der Berliner Staatsbibliothek verwahrte Nachlaß des in das Attentat vom 20. Juli 1944 verwickelten und dafür hingerichteten ehemaligen Staatssekretärs Erwin Planck (1893-1945), der allein knapp 500 Briefe seines Vaters birgt, fast sechzig Jahre von der Zeitgeschichtsforschung ignoriert wurde. Diese Überlieferung ist dabei so dicht, daß von Pufendorf die Qual der Wahl hatte und eigentlich kaum noch als "Autorin" dieses Buches anzusprechen ist, da es weitgehend aus Tagebuch- und Briefzitaten bzw. Referaten besteht (Die Plancks. Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand, Propyläen Verlag, Berlin 2006, 512 Seiten, Abbildungen, 22 Euro). Was die also besser als "Herausgeberin" anzusprechende Düsseldorfer Gymnasiallehrerin an eigenen Einlassungen hinzufügt, ist zudem so unglaublich einfältig, so hoffnungslos ahistorisch am Weltbild des NRW-Sozialkundeunter-richts ausgerichtet, ist derart mit den "demokratiefeindlichen", deutschnationalen und partiell judeophoben Dispositionen des jungen Planck überfordert, daß man als Leser dankbar für die Masse der Hinterlassenschaft ist, die von Pufendorfs ahnungslose Belehrungen einfach erstickt.

Patrizier. Wenn Arnulf Baring Bürger auf die Barrikaden schicken will, meint er vermutlich die gleiche Personengruppe, denen Herman Lohausen in seiner essayhaften Analyse das Prädikat Stadt-Adel verleiht. Dieses auch oft die städtische Politik prägende Patri-ziat, nicht selten auch blaublütig, habe für die Entwicklung der uns heute prägenden bürgerlichen Gesellschaft einen wesentlich größeren Beitrag geliefert als die bis 1918 privilegierte Nobilität, in der Mehrheit "Land"-Adelige (Stadt-Adel. Ein Beitrag zur Soziologie des Niederen Adels. Kalkumer Verlag, Düsseldorf 2006, 114 Seiten, 9,90 Euro).


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