© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Das Lächeln, das aus dem Himmel kommt
Katholische Kirche: In seinem ersten Amtsjahr hat Benedikt XVI. die Kurie erstaunt und die Gläubigen entzückt
Paola Bernardi

Es war genau 17.54 Uhr, als vor einem Jahr, am 19. April 2005, der weiße Rauch aus dem Blechrohr auf der Sixtina quoll und in den regengrauen römischen Himmel stieg. Zugleich begannen die Glocken von Sankt Peter zu läuten, was bedeutete: Ein neuer Papst war gewählt.

Und dann brach das Chaos über Rom herein. Der Verkehr war völlig lahmgelegt. Aus allen Seitenstraßen strebten die Menschen in Richtung Petersplatz. Sie ließen ihre Arbeit liegen und rannten einfach los. Tausende, Zehntausende, eine ungeheure Menschenwelle wogte die Via della Conciliazione entlang, hin zum Petersplatz. Diese Menschen wollten bei dem Welt-Ereignis dieser Papstwahl zugegen sein. Sie trugen Fahnen, hatten Rosenkränze und Kruzifixe in den Händen. Die zahlreichen aufgestellten Fernsehkameras zoomten indessen die prachtvolle Fassade der Basilika immer schärfer heran, doch oben auf der Loggia tat sich nichts. Die Vorhänge blieben verschlossen.

Erst knapp eine Stunde später, um 18.43 Uhr, trat der chilenische Kardinal Medina Estevez hervor und verkündete mit leiser Stimme: "Brüder und Schwestern, wir haben einen Papst, den Eminentissimum Dominum Joseph Ratzinger. Der sich den Namen Benedikt XVI. gegeben hat." Ausgerechnet ein Mann aus Deutschland, das immer mehr zum Missionsland wird, war in einer der kürzesten Papstwahlen in der langen Geschichte zum Oberhaupt der katholischen Kirche erwählt worden. Ein tausendstimmiger Schrei, der aus der Tiefe des Petersplatzes kam, erfolgte nach dieser Ankündigung.

Dann trat der neue Papst auf die Loggia, und erneut brach frenetischer Jubel und Händeklatschen aus. Plötzlich lagen sich wildfremde Menschen in den Armen, lachten und weinten. Papst Benedikt XVI., sonst eher scheu, lächelte entspannt, warf die Arme in die Höhe und schaute auf die jubelnde Menge. Von dieser Sekunde an liebten ihn die Römer und dann die ganze Welt.

Es war eine spontane Liebe, denn der Verlust, den viele Menschen gerade durch den Tod von Johannes Paul II. empfunden hatten, wurde in diesem Augenblick aufgefangen und weitergegeben an diesen zierlichen schmalen Priester mit den weißen Haaren, als der neue Papst in seiner ersten kurzen Ansprache sagte: "Die Kardinäle haben mich gewählt, einen einfachen und demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, daß der Herr weiß, wie man mit unzulänglichen Werkzeugen arbeitet. Doch vor allem brauche ich euer Gebet. Durch die Freude des wiedererstandenen Herrn und mit eurer immerwährenden Hilfe werden wir vorangehen. Der Herr wird uns helfen und Maria, seine heiligste Mutter steht auf unserer Seite. Danke."

Erneut brach begeisterter Jubel aus. Menschen weinten und lachten vor Freude, als Papst Benedikt XVI. seinen ersten Segen über die Stadt und den Erdkreis in der Vollmacht des höchsten Hirtenamtes erteilte.

Ratzinger will Europa wieder christlich machen

Es ist das Lächeln dieses Papstes, das die Menschen - gläubig oder nicht - von Anbeginn an so in den Bann geschlagen hat. Ein verhaltenes Lächeln, das aus dem tiefsten Inneren zu kommen scheint. Und die Menschen spüren dies, sie spüren den Zauber, der von diesem Lächeln ausgeht, sie strömen ihm zu, sie vertrauen ihm. Es ist "das Lächeln, das aus dem Himmel kommt", so erklären es die Römer.

Seitdem der deutsche Papst im April 2005 den Thron Petri bestiegen hat, rollen immer neue Wellen der gläubigen Zuneigung über den Petersplatz. Dicht gedrängt stehen die Menschen in dem Bernini-Rund beim sonntäglichen Angelus, und Menschentrauben streben jeden Mittwoch zur Audienz. Längst hat die Papstwoge des neuen Pontifex die Wojtyla-Gemeinde überrundet, wie die nüchternen Statistiken im Sala Stampa präzise vermerken. "Die Ratzinger-Menge ist doppelt so groß wie die von Johannes Paul II.", schreibt der Corriere della Sera.

Dabei wollte dieser Papst nie mit seinem Vorgänger verglichen werden. Die gewollte Unauffälligkeit von Benedikt XVI. entspricht seiner Vorstellung von einem anderen Papst-und Kirchenbild. Während der Pole Johannes Paul II. universal seinen Kampf vor allem gegen den Kommunismus führte, ist Benedikt XVI., der Deutsche, der Bayer, ein zutiefst europäischer Papst. Wie der große Vatikan-Kenner Vittorio Messori kürzlich schrieb: "Die Wahrheit ist, daß Ratzinger immer ein eurozentrischer Denker ist; er ist ein Intellektueller Mitteleuropas und ein westlicher Theologe, der sich selbst in seinen vielen Botschaften immer treu bleibt. Er gibt sich keinen Illusionen über die Dritte Welt hin. Er weiß vielmehr, daß sich das Schicksal der Kirche hier entscheidet. Für ihn ist es weitaus wichtiger, dem Wohl einer Gemeinde in den Marken oder den Gläubigen in einer Kirche in der Bretagne neue Impulse zu geben, als neue Mitglieder in einer afrikanischen Diözese zu erobern", so der katholische italienische Schriftsteller.

Benedikt XVI. pocht auf die christlichen Wurzeln des Abendlandes. Seine Aufgabe sieht er vor allem darin, Europa wieder christlich zu machen. Während sein Vorgänger extrovertiert und populär war, ist er eher nachdenklich, milde, aber ein wasserklarer Analytiker von messerscharfer theologischer Logik. Auf seinen Lebenstraum mußte er verzichten, nämlich im stillen Studierzimmer seine Bücher zu schreiben.

Fast geräuschlos führt Benedikt mit seiner Mannschaft die Vatikan-Geschäfte. Schließlich ist der Vatikan das exakt arbeitende Gehirn eines weltumspannenden Apparates. Das Tagewerk eines Papstes umfaßt das unaufhörliche Ineinanderwirken von Welt und Geist. Im täglichen Weltgeschehen muß er nüchtern die Möglichkeiten des Christentums abwägen. Unter Benedikt XVI. verläßt keine Botschaft, kein Schreiben den Vatikan, das nicht über seinen Schreibtisch gegangen ist.

Langsam zeichnen sich auch die Konturen der neuen Vatikan-Diplomatie ab. So bestimmte er den Amerikaner William Josef Levada, einen eher unauffälligen US-Kardinal, zu seinem eigenen Nachfolger als Präfekt der Glaubenskongegration. Und jetzt im April ernannte er 15 neue Kardinäle aus elf Ländern. Darunter befindet sich auch der Bischof von Hongkong, Joseph Zen. Mit dieser Ernennung unterstrich der Papst Zens Engagement für die Religionsfreiheit in China.

Gleichzeitig hat Benedikt XVI. die lang erwartete Reform der Kurie in Gang gesetzt. So soll die Zahl der päpstlichen Kommissionen und Räte zusammengestrichen werden. Schon hat der Pontifex von den bisher elf Kongregationen zwei gestrichen. Karrieristen haben es unter diesem Papst schwer, gefragt sind vielmehr Erfahrung und höchste Kompetenz.

Der neue Papst hat in diesem ersten Jahr seines Pontifikats bereits viel in Bewegung gesetzt und erstaunt nicht nur die Kurie, sondern entzückt vor allem die Gläubigen. Noch haften die Bilder in der Erinnerung, als dieser eher spröde Papst wahre Begeisterungsstürme auf dem Weltjugendtag im letzten Sommer in Köln entfachte (JF 35/05). Dies hatte niemand vorausgesehen. Galt er doch für notorische Schwarzmaler gegen die Kirche in seiner Eigenschaft als Präfekt der römischen Glaubenskongregation immer nur als "Hardliner", "Reaktionär", "Panzerkardinal" und "Großinquisitor". Das Bild hat sich längst verwischt, die Klischees und Vorurteile seiner Gegner sind widerlegt.

Hans Küng schwärmte von "freundlicher Atmosphäre"

So zeugt die Ende Januar vorgestellte erste Enzyklika seines Pontifikats "Deus Caritas est" (Gott ist die Liebe) von der großen Wärme und tiefen Menschlichkeit dieses Pontifex. Das an alle Gläubigen der Kirche gerichtete Rundschreiben führt die theologischen Lehren über die göttliche und menschliche Liebe aus und verbindet damit Folgerungen für die karitative Einstellung der Gläubigen und das Wirken der Caritas in aller Welt. Der Papst zielt mit seinem 60seitigen Schreiben ins Zentrum des christlichen Glaubens, erläutert in einprägsamer Sprache die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. Es ist ein reines Manifest der Liebe (JF 6/06).

Benedikt XVI. läßt sich in kein Schema pressen und überrascht immer wieder. So stand im Mittelpunkt der von ihm einberufenen Bischofssynode die "Renaissance des Sakralen". Die Kirche besinnt sich wieder stärker auf die Liturgie. Der Priester am Altar soll vor allem nur noch dem Dienst an der gläubigen Gemeinde verpflichtet sein. Der Gottesdienst soll nicht zum Event ausarten, sondern sich an die uralten sakralen Regeln der Kirche halten. Auch das ist ein großes Anliegen dieses Papstes.

Völlig perplex zeigten sich romkritische Intellektuelle, als der Papst fast geräuschlos ohne Vorankündigung am 25. September den ewigen Vatikan-Kritiker und sich immer wieder einmischenden Kirchenrebell Hans Küng empfing. Der konnte sich später kaum einfangen und schwärmte von der "freundlichen Atmosphäre". Es war nicht das erste Treffen, das für Überraschung sorgte. Bereits am 27. August hatte Benedikt XVI. in privater Audienz die italienische Starjournalistin und Islam-Kritikerin Oriana Fallaci empfangen, die in ihren letzten beiden Büchern mit glühendem Haß gegen den Islam zu Felde zieht und Europa beschuldigt, weiterhin blauäugig zu sein.

Zwei Tage später, am 29. August, empfing Benedikt XVI. schließlich auch noch in Privataudienz den schismatischen, sozusagen "ungültigen" Bischof Bernard Fellay, den Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X., der seit 1988 von Rom getrennten Gemeinschaft des verstorbenen Erzbischofs Lefebvre. Berührungsängste hat dieser große Intellektuelle nicht.

Mag der deutsche Papst vom Wesen her eher schüchtern und zurückhaltend sein, doch er weiß stets auch im richtigen Moment seine Stimme zu erheben. So mischt er sich durchaus in die italienische Tagespolitik, etwa als die Italiener aufgerufen waren, in einem Referendum über ein neues Bioethik-Gesetz zur künstlichen Befruchtung abzustimmen. Die Kirche erinnerte die Menschen daran: "Über das Leben stimmt man nicht ab." Der Boykott wurde befolgt, das Referendum scheiterte.

Papst Benedikt spricht immer in klaren Worten: "Ehe ohne Trauschein" lehnt er ebenso rigoros ab wie die Pseudo-Ehe von Personen gleichen Geschlechts. Diese Formen seien vielmehr "Ausdruck einer anarchischen Kultur, die man als wahre Befreiung verkauft", so der Pontifex. Überhaupt zeigt der Papst bei vielen Gelegenheiten klare Grenzen auf: So verteidigte er vor den europäischen Parlamentarier die Rechte des menschlichen Lebens, der Ehe (von Mann und Frau) und der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder als Basiswerte einer jeden Demokratie und Gesellschaftsordnung - und als unabtrennbare Wurzeln Europas.

In einem Interview mit der in Turin erscheinenden La Stampa, schrieb der langjährige Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Valls dem Papst zwei besondere Eigenschaften zu: "Einerseits einen wunderbaren begrifflichen Reichtum, eine brillante gedankliche Dichte. Und andererseits eine außergewöhnliche Fähigkeit, die Ideen in einer verständlichen Sprache auszudrücken."

Bei aller Klarheit und Entschiedenheit - sein Lächeln, das aus dem Himmel kommt, hat Benedikt XVI. bisher nicht verloren.

Foto: Papst Benedikt XVI.: Auf seinen Lebenstraum, im stillen Studierzimmer zu schreiben, mußte er verzichten


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