© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Integration
Karl Heinzen

Von den integrationsberechtigten Einwanderern nimmt gerade einmal die Hälfte das staatlich initiierte Kursprogramm an, das ihnen ihre neue Heimat und deren Sprache nahebringen soll. Knapp jeder zehnte dieser Lehrgangsteilnehmer absolviert die freiwilligen Abschlußprüfungen mit Erfolg. Marktwirtschaftlichem Denken gemäß wäre nur eigentlich zu fragen, was der Staat als Anbieter falsch gemacht hat. Warum stoßen die Kurse auf eine so geringe Resonanz? Wie kann man die Attraktivität des Programms steigern?

Die CSU jedoch, ansonsten ja nicht abgeneigt, den Staat als großen Dienstleistungsanbieter zu interpretieren, verweigert sich diesen Fragen. Anstatt die Nachfrageseite durch Service-Optimierung und Marketing zu umwerben, möchte sie diese durch die Androhung von Strafen unter Druck setzen. Derartige Methoden kannte man bislang nur aus den deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, deren Bürger Nachteile zu befürchten hatten, sofern sie sich staatlicher Indoktrination zu entziehen versuchten. Um Menschen das Gefühl zu vermitteln, in ein freies Land eingewandert zu sein, sind sie jedenfalls denkbar ungeeignet.

Nicht auszuschließen ist aber auch, daß der schneidige Vorstoß der CSU bloß eine gewisse Torschlußpanik kaschiert. Die Zeit, in der das Integrationsdenken klassischer Art vielleicht eine Berechtigung hatte, scheint nämlich abgelaufen. Es setzte die Existenz einer Mehrheitskultur voraus, in die sich die Migranten als Minderheit allmählich eingliedern. Davon kann nun nicht mehr gesprochen werden. In den Ballungsräumen der alten Bundesrepublik sind die Einwanderer im Begriff, die Mehrheit der Kinder, Jugendlichen und auch schon der jungen Erwachsenen zu stellen. Die ländlichen Regionen dürften alsbald nachziehen, lediglich das - aber per se zusehends entvölkerte - Beitrittsgebiet wird dafür etwas länger benötigen.

Demokratische Prinzipien zugrunde gelegt, müßte nunmehr folglich darüber nachgedacht werden, wie eine Integration der weiter schrumpfenden autochthonen Minderheit in die neue Mehrheitskultur gestaltet werden kann. Ein entsprechendes Kursangebot für Deutschstämmige wäre dafür sicher ein Instrument unter mehreren. Als ein Problem ist es anzusehen, daß die Migranten so heterogen sind. Man findet unter ihnen Türken, Russen, Araber, Schwarzafrikaner und viele andere mehr. Wie soll man sich da auf eine neue Leitkultur einigen? Wenigstens die Migrationsexperten werden also wohl nicht so schnell beschäftigungslos.


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