© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Jean Raspail
Prophet des Untergangs
von Alain de Benoist

Der Öffentlichkeit ist Jean Raspail vor allem als Autor des prophetischen Romans "Das Heerlager der Heiligen" ein Begriff. 1973 erschienen, erzählt dieses erstaunliche Buch von der friedlichen Invasion Europas durch eine Millionen Einwanderer, die in Booten seine Küsten erreichen: Der Westen wird von der Einwanderungsflut aus der Dritten Welt regelrecht überschwemmt (siehe JF 12/06). Seither hat dieses Werk ständige Neuauflagen sowie Übersetzungen in zahlreiche Sprachen erfahren und seinem Verfasser einen Ruf als apokalyptischer Visionär eingebracht.

Raspail begann seine Laufbahn als Forschungsreisender, den die letzten Naturvölker begeisterten. 1949 fuhr er im Kanu über die Großen Seen zwischen den USA und Kanada. 1951/52 leitete er die Autorallye, die den gesamten amerikanischen Kontinent von Feuerland bis nach Alaska durchquerte. Zwei Jahre später begab er sich auf die Spuren der Inkas. Von diesen Reisen brachte er eine bedingungslose Liebe zu den Indianervölkern Nord- und Südamerikas mit, denen er auch mehrere Bücher widmete.

Weil er stets die Rechte der Indianer verteidigt habe, erläuterte Raspail später, sei es ihm ganz selbstverständlich erschienen, sich auch im eigenen Land auf die Seite der Einheimischen zu schlagen: "Jeder Mensch - und jede Nation - hat das heilige Recht, im Namen ihrer Zukunft und im Namen ihrer Vergangenheit ihre Differenzen und ihre Identität zu bewahren." Der jüngst verstorbene Schriftsteller Jean Mabire schrieb 1974: "Wenn er für die Salon-Progressiven nur Sarkasmus übrighat, legt Jean Raspail für die Brasserie-Neorassisten nichts als Verachtung an den Tag."

Raspail, der 1925 in der Nähe von Tours geboren wurde, ist Verfasser von rund dreißig Romanen und Essays. 2001 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Prix Jean Giono ausgezeichnet, 2003 erhielt er den Großen Literaturpreis der Académie française. Vor allem ist er ein Nostalgiker. Er sehnt sich nach der Monarchie zurück. In seinem eben auf deutsch erschienenen Roman "Sire" träumt er davon, das französische Königtum habe an geheimem Ort bis in unsere Gegenwart überlebt (siehe JF 8/06). Seine Helden sind zumeist Einzelgänger. "Alle meine Bücher erzählen nahezu dieselbe Geschichte: die Suche nach einem absolut unerfüllbaren Traum." So schildert er in "Ich, König von Patagonien" das bemerkenswerte, historisch verbürgte Abenteuer des französischen Notars Antoine de Tounens (1825 bis 1878), der sich 1860 zum König der patagonischen Mapuche-Indianer krönen ließ. Von der chilenischen und argentinischen Obrigkeit verhaftet, dann des Landes verwiesen, ließ er seinen Traum dennoch niemals los.

Mittlerweile gesteht Raspail jedoch seine Verzweiflung ein: "Der Westen ist hohl. Er hat keine Seele mehr. Ob es um Nationen, um Rassen und Kulturen oder um das Individuum geht, es ist immer die Seele, die die entscheidenden Schlachten gewinnt. Bei uns vermag ich kaum noch etwas davon zu erkennen." Nach uns die Apokalypse?


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