© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

PRO&CONTRA
Hat Klinsmann die richtige Entscheidung getroffen?
Arnd Zeigler / Christian Falk

Die Kritik an der Torwartentscheidung des Bundestrainers ist unehrlich und teilweise dumm. Was wäre denn, wenn Jürgen Klinsmann schon im vergangenen Jahr Oliver Kahn zur Nummer eins für die WM gekürt hätte? Welches Signal wäre das gewesen? Doch wohl vor allem dieses: "Du darfst ab jetzt halten wie 'ne Wurst - Im Tor stehst Du trotzdem!" Geht man davon aus, daß Klinsmann die Pflicht hat, die beste Elf auf den Platz zu schicken, dann hat er alles richtig gemacht. Er hatte vor, bis nach der Saison zu warten, um dann den besseren Torwart auszuwählen. Daran ist absolut nichts Verwerfliches zu finden, auch wenn Felix Magath oder Uli Hoeneß das immer wieder versucht haben. Kahns Demission wurde von den Bayern erwirkt, nicht von Klinsmann. Der hat alles richtig gemacht.

Den einen oder anderen Fehler hätte man Kahn vielleicht noch verziehen, hätte er sie nicht mit dieser Kälte und Kritikunfähigkeit gepaart. Gegen den 1. FC Köln darf man ruhig auch mal danebengreifen, aber sollte man dann ernsthaft anschließend eingestehen, daß man eigentlich gesundheitlich sowieso zu angeschlagen war, um ein Bundesligaspiel optimal bestreiten zu können? Ist das nicht der Gipfel der Unprofessionalität?

Und was sagt es über einen Teamspieler aus, wenn man wie Kahn noch während des Spiels beim Stande von 2:2 aus dem Stadion flüchtet? Solch eine Aktion spricht für Desinteresse oder ein angeknackstes Nervenkostüm. Überhaupt: Wie mußten wir die Kritik der Bayern verstehen, die Hängepartie in der Torwartfrage seien eine Belastung? Ist Kahn ein possierliches Pelztier oder ein Profi mit annähernd 500 Ligaspielen? Weshalb muß für ihn das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt werden, und was sollen Spieler wie Miroslav Klose oder Bastian Schweinsteiger sagen, denen man ebenfalls noch nicht mitgeteilt hat, daß sie während der WM auf ihrer Position garantiert auflaufen dürfen?

 

Arnd Zeigler ist Radiomoderator, Kolumnist des Fußball-Magazins 11 Freunde und Buchautor ("1.000 ganz legale Fußballtricks").

 

 

Vorneweg: Glückwunsch, Jens Lehmann. Sie scheinen derzeit wie der einzige Gewinner eines Spiels, das ansonsten nur Verlierer kennt. "Es hat sich nichts geändert. Oliver Kahn ist die Nummer eins, Jens Lehmann der Herausforderer." Wie oft haben wir diesen Satz von Jürgen Klinsmann hören müssen. Um am letzten Freitag das genaue Gegenteil zu erfahren. Kahn war die Nummer eins - aber nur auf der Streichliste von Klinsmann. Von Tag zu Tag hat sich das in den letzten beiden Jahren immer mehr angedeutet, am Schluß hatten es auch die allergrößten Kahn-Fans kapiert. Und er, der Titan, stand plötzlich als der allergrößte Verlierer da. Mürbe gemacht von einem Zweikampf, der eigentlich keiner war. Gegen Klinsi helfen keine Paraden, keine Faustabwehren und auch nicht die Unterstützung der sonst so mächtigen Bayern-Führung. Aber: Einen Titan killt man nicht so schnell.

Einen Titan kann man stürzen, aber er steht wieder auf! Oliver Kahn fährt mit zur WM. Trotz der Degradierung zur Nummer zwei! Trotz Klinsmanns unterlassener Ermutigung! Oliver Kahn fährt trotzdem. Und kann ab jetzt nur noch gewinnen. Kahn hat seinen Ruf als großer Sportsmann mit seiner Entscheidung gefestigt. Trotz seiner persönlichen Enttäuschung stellt er sich in den Dienst der Nationalelf. Und wird davon nun profitieren. Für ihn heißt es bei der WM: Gewinnt Deutschland, gewinnt auch Oliver Kahn. Verliert Deutschland, sammelt er auf der Bank Pluspunkte. Plötzlich sind andere die Verlierer. Jens Lehmann, weil er es ist, der nun etwas zu verlieren hat. Jürgen Klinsmann, weil er mit seiner Entscheidung, entgegen seinen fast zweijährigen Beteuerungen und ohne daß Kahn entscheidende Fehler gemacht hätte, Sympathien eingebüßt hat. Der Bundestrainer geht mit Oliver Kahn als Nummer zwei schweren Zeiten bei der WM entgegen. Aber das hat er sich selbst eingebrockt. Und am Ende ist der Sieger vielleicht doch wieder Oliver Kahn.

 

Christian Falk ist Chefreporter des Münchner Boulevardblatts tz , wo er über den FC Bayern und die deutsche Nationalelf berichtet.


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