© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Meldungen

Die Vertriebenen: eine "Zuwanderergruppe"

GÖTTINGEN. Was geschähe wohl, wenn ein deutscher Historiker forderte, die Vernichtung der Juden Europas nicht mehr "einseitig" vom jüdischen Standpunkt zu deuten, den auf die "Opferperspektive verengten Diskurs" aufzugeben und den ganzen "Themenkomplex" derart der "Historisierung" zu überantworten, daß der Holocaust als "Detail" der Menschheitsgeschichte der Massenverbrechen erschiene. Das wäre wohl ein Fall für den Staatsanwalt, Anklage nach Paragraph 130 Strafgesetzbuch zu erheben. Deutsche Vertriebene werden durch diesen Straftatbestand nicht geschützt. Daher geht Rainer Ohliger kein Wagnis ein, wenn er empfiehlt, in Sachen "Flucht und Vertreibung" die "einseitige Opferperspektive" zu verlassen und die genozidale Praxis der Jahre 1945/46 als "Teil der Migrationsgeschichte" zu "historisieren" (Zeithistorische Forschungen, 3/05). Vertriebene zählen dann neben "Gastarbeitern" zu den "Zuwanderergruppen", die Westdeutschland vor "Herausforderungen zur Integration" gestellt hätten. Mit einem Anflug von Restintelligenz wendet Ohlinger im folgenlosen Ausklang seines zynischen Aufsatzes gegen sich selbst allerdings ein, daß sich Vertreibung nicht im "Akt der Migration" erschöpfe, sondern die "Geschichte von Verlust, Gewalt und Tod" sei.

 

Verstrickungen, die den Appetit anregen

DÜSSELDORF. Schmausende Archivare am üppigen Büffet illustrieren die Berichte über den 75. Deutschen Archivtag, der im letzten Herbst in Stuttgart über 700 Teilnehmer versammelte. Der Archivar (1/2006), Organ des "Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare", dokumentiert derart, daß moralische Zerknirschung nicht zwangsläufig appetitzügelnd wirkt. Denn "selbstkritische Reflexion" wurde zum Thema "Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus" im Übermaß gefordert, um die Referate über "Verstrickungen" angemessen zu würdigen. Ganz so "unaufgeregt", wie Robert Kretzschmars Zusammenfassung der Vorträge es behauptet, verlief die Diskussionen über "einzelne Personen" aber doch nicht. Einzelne Berichte dokumentieren, daß moralisierender Eifer sich nicht nur gegen hohe preußische Reichsarchivare austobt, sondern "die Region" erreicht. So stieß man sich daran, daß der 1966 verstorbene Wormser Stadtarchivar Friedrich Illert immer noch "immense Verehrung" genieße oder in Hof weiterhin eine Straße nach Ernst Dietlein heiße, dem Stadtarchivar und "überzeugten Nationalsozialisten". Illert war es immerhin gelungen, der Gestapo das beschlagnahmte Wormser jüdische Gemeindearchiv abzunehmen, das er erst 1956 auf Druck aus Jerusalem und Bonn nach Israel "abgeben" mußte.

 

Aktenöffnung: Briten folterten Kommunisten

LONDON. Die nach sechzig Jahren freigegebene Einsicht in Akten des britischen Verteidigungsministeriums dokumentiert neue unangenehme Wahrheiten. Dazu gehörten etliche Fotos von Folteropfern. So haben britische Soldaten nach 1945 in Deutschland systematisch Frauen und Männer gefoltert, die als Kommunisten und Sympathisanten der Sowjetunion galten, um Informationen über russische Militär- und Geheimdienstoperationen zu bekommen (The Guardian, 3. April). "Die Bilder zeigen Männer, die monatelang Aushungerung, Schlafentzug, Schläge und extreme Kälte in einem von zahlreichen Verhörzentren ertragen mußten, die vom Kriegsministerium in Nachkriegsdeutschland unterhalten wurden", erklärte die Zeitung.

 

Erste Sätze

Himmelskugel. Der blaue Tageshimmel wölbt sich über uns.

Oswald Thomas: Astronomie. Tatsachen und Probleme, Salzburg 1934


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