© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Abscheu vor der Gegenwart
Erinnerung an E. Waugh
Werner Olles

Als der 1903 in London geborene Evelyn Waugh mit 27 Jahren zum katholischen Glauben konvertierte, war die römisch-katholische Kirche noch jenes "einzige Bollwerk gegen den Ansturm von Gottlosigkeit, Chaos und Vulgarität", das er mit seiner Neigung zum Wahren und Absoluten in ihr sah. "Er mußte sich an etwas Solides und Starkes und Beständiges festklammern", schrieb der einige Jahre zuvor ebenfalls zum Katholizismus konvertierte Graham Greene, und in der Tat gab die Kirche Waugh jenen Halt und jene Gewißheit, die er lange vermißt hatte.

Waughs Verachtung für alle zeitgenössischen Erscheinungsformen, seine Selbststilisierung zum gepflegten Reaktionär, dessen Zynismus, Hochmut und Sarkasmus mit einer pessimistischen Lebenseinstellung konvergierte, durchdrang vor allem seine komödiantischen Romane über die sich in sinnlosen Ausschweifungen ergehende "bessere Gesellschaft". Nirgendwo kommt diese Abscheu vor der "barbarischen Gegenwart" und der "noch trostloseren Aussicht auf die Zukunft" stärker zur Geltung als in seinem Roman "Aber das Fleisch ist schwach" (1930), in dem er der vergnügungssüchtigen Londoner Schickeria die eigene Jugendzeit gegenüberstellt und sich in elegischen Bildern zu seiner exzentrisch-altmodischen Gesinnung bekennt.

Es war auch das Jahr seiner Konversion. Endlich konnte er seine groteske Maske abstreifen - eine Mischung aus zerstreutem Professor und barschem Oberst - und sich aus der "heidnischen Welt des Mordes und des Verrats" befreien. Als Korrespondent des Daily Express führten ihn in den dreißiger Jahren mehrere Reisen nach Afrika. In den Büchern "Die schwarze Majestät" (1932), "Eine Handvoll Staub" (1934) und "Die große Meldung" (1938) schildert Waugh den verderblichen Einfluß der europäischen Zivilisation auf schwarze Stämme, die zwar nicht den rechten Glauben, aber dennoch hohe moralische Wertvorstellungen haben.

Zum Kriegsende 1945 erschien "Wiedersehen mit Brideshead", ein wegen seiner religiösen Reflexionen im besten Sinne des Wortes katholischer Roman. Der Erzähler Charles Ryder - Waughs Alter ego - findet sich während des Krieges als britischer Offizier in das verlassene Schloß der Marchmains zurückversetzt und erinnert sich seiner damit verbundenen Jugenderlebnisse und seiner Liebe zu Julia, die ebenso wie ihr bizarrer Bruder Sebastian und Ryder selbst in den Zwiespalt zwischen Weltlichkeit und Religion gerät.

Ein Meisterwerk der Konstruktion und knappen Darstellung und zugleich die treffendste Attacke auf die moderne Zivilisation ist der Roman "Tod in Hollywood" (1948), in dem Waugh die sentimental-verlogene amerikanische Einstellung zum Tod in satirischer Form darstellt.

Als "Konversationsstück" bezeichnete Waugh sein 1957 erschienenes Buch "Gilbert Pinfolds Höllenfahrt". Mit der Titelfigur teilte er den Ekel vor "Plastik, Picasso, Sonnenbaden und Jazz", jenem "Zeitalter des gewöhnlichen Mannes", zu dessen Verfallserscheinungen er auch die Abschaffung der alten lateinischen Liturgie zählte, die in seinen Augen die Auslöschung einer tausendjährigen Tradition darstellte. Gemeinsam mit anderen Intellektuellen wie Julian Green, Agatha Christie, Graham Greene, Robert Bresson und Jorge Luis Borges unterzeichnete er ein flammendes Manifest zur Verteidigung der überlieferten Messe.

Waugh betäubte sich nun mehr und mehr mit Alkohol und Drogen, um seine innere Unruhe und die ihn quälende Schlaflosigkeit zu bekämpfen. "Mein Leben ist schrecklich", gestand er seiner Seelenfreundin Ann Fleming, der Frau des James-Bond-Erfinders Ian Fleming. Am 10. April 1966 schließlich versagte Waughs Herz.


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