© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Pankraz,
die Genetik und das Ferkel als Hering

Neuer Etappensieg der Bewegung "Genießen ohne Reue". Laut einem Bericht in Nature ist es Biologen gelungen, den Ferkeln einer Schweinerasse ein Gen einzupflanzen, das deren Bauchspeck für "menschliche Verbraucher" angeblich ungefährlich macht. Genuß von Schweinebauch an sich erhöht bekanntlich kräftig den Cholesterinspiegel; die neuen Schweinebäuche aber, so heißt es, entsprächen in ihren Fettsäurewerten etwa Heringsköpfen, seien also ohne jegliche Bedenken konsumierbar, hurra!

Bei Pankraz hält sich die Begeisterung in Grenzen. Hat die Spitzenforschung denn wirklich nichts Besseres zu tun, als sich um Luxusbedürfnisse wohlstandsweltlicher Esser und Fresser, Gourmets und Gourmands, zu kümmern? Wer Sorge um seinen Cholesterinspiegel hat, der muß eben Maß halten, auch als Verbraucher von Waren, die auf Schweinebauch basieren. Mag sein, die Welt ist tatsächlich da, um verändert ("verbessert") zu werden - doch die zugrunde gelegten Kriterien sollten schon einigermaßen anspruchsvoll sein.

Im Grunde ist die Verharmlosung von Schweinebauch mittels Genmanipulation ein Anschlag auf jede höhere Eßkultur. Zu jener Eßkultur, auf die man sich heute so viel zugute tut, gehört nicht zuletzt Risiko-Abschätzung: optimales Appetitmachen per Geschmack, Duft und Augenreiz bei genauer Beachtung gesundheitlicher und kultureller Regeln. Genau darin besteht moderne Koch- und Anrichtekunst. Wenn die Wissenschaft schon im Vorfeld jegliches Risiko ausschaltet, verwandelt sich später beim Zubereiten die Kunst in bloße Routine, in simple Realisierung fertiger Rezepte.

Es fällt ja nicht schwer, sich die Büchse der Pandora vorzustellen, die die erfolgreichen Schweinebauch-Genetiker möglicherweise geöffnet haben. Nichts bleibt mehr so, wie es war. Wer Schweinebäuche substantiell in Heringsköpfe verwandelt, der verwandelt auch Gänseleber in Ziegenquark oder Kokablätter in Ginsengwurzeln.

Letzteres freilich würde wohl den Protest der Konsumenten hervorrufen, die in der Regel zwar einen hohen Cholesterinspiegel fürchten, auf den Kokarausch (oder irgendeinen anderen Rausch) jedoch auf keinen Fall verzichten wollen. Beim Rausch ist die Risikofreudigkeit unvergleichlich viel höher als bei der "bloßen Ernährung". Sogar alkoholfreies Bier ist ein ziemlicher Flop geblieben; mit alkoholfreiem Wodka für Rußland hat man gar nicht erst angefangen.

Der Leser merkt: Beim "Genießen ohne Reue" kommt alles auf die Situation und auf die Quantität an, nicht auf die Qualität. Auch das schlimmste Gift kann unter Umständen in der richtigen Dosierung als Heilmittel wirken, und für einen Hungernden kann ein genetisch unbehandelter Schweinebauch viel besser zu momentaner Erholung beitragen als ein behandelter. Die Situation ist entscheidend.

Das in Nature beschriebene Ferkel-Experiment war bei Lichte betrachtet völlig überflüssig, eine typische Ferkelei gewissermaßen. Doch dies bedeutet nicht, daß jede andere Gen-Manipulation, wie manche Polit-Ökologen behaupten, ebenfalls eine Ferkelei sei, nichts als eine Ferkelei. Wenn gewisse Staaten ihre inneren Ernährungsprobleme durch die Förderung des Anbaus von Genmais zu lösen versuchen, so ist das, findet wenigstens Pankraz, keine Ferkelei, sondern vernünftige Agrarpolitik, selbst wenn dabei manchmal internationale Konzerne unlautere Geschäfte machen.

Die Argumente der Genmaisgegner stechen einfach nicht, auch wenn sie noch so laut vorgetragen werden. Es gibt keine "verbotenen Eingriffe in die Natur", denn wenn die Natur überhaupt etwas ist, dann ein ständiger Eingriff in sich selbst. Dauernd sind unzählige Naturfaktoren damit beschäftigt, die Substanz und den Phänotyp der Natur im ganzen zu verändern, sie sich zu "entfremden", sie zu neuen Strukturen und Gesetzen vorzutreiben. Der eingreifende Mensch ist nur einer dieser Faktoren.

Freilich muß er, will er vor unangenehmen Überraschungen und katastrophalen (Neben-)Folgen geschützt sein, jeden Eingriff, ob nun genetischer oder sonstwelcher Art, genau bedenken, muß vor allem den augenblicklichen Nutzen für sich selbst und seine (menschlichen oder "nur lebendigen") Zeitgenossen mit größter Sorgfalt gegen mögliche Nachteile für die Zukünftigen abwägen. Aber "schuldig" in irgendeinem metaphysischen oder theologischen Sinne macht er sich nicht, auch wenn er genetisch vorgeht. Praktische Genetiker sind nicht von Haus aus Schwerverbrecher.

Ganz im Gegenteil, die Genetik ist im aktuellen Reich der Wissenschaft wohl das Vornehmste und Glänzendste, was wir haben. Nicht nur schreitet sie an der Front, gibt die Leitwissenschaft ab, an der sich die anderen Disziplinen zunehmend orientieren und deren Vokabular sie übernehmen, sondern sie nährt auch ungeheure Hoffnungen unter tragisch an schwerer Krankheit Leidenden, Sehnsüchte entzünden sich an ihr, Erwartungen leuchten auf.

Um so größer die inneren Verpflichtungen, die jeder Vertreter des Fachs auf sich nehmen muß und die ihm keine Ethikkommission, kein regierungsamtlicher Ethikrat und auch keine wissenschaftliche Zeitschriftenredaktion abnehmen kann. Der abgrundtiefe Fall des südkoreanischen Stammzellenforschers und "Klonkönigs" Woo Suk Hwang hat ein schreckliches Menetekel aufgerichtet. Alle spüren jetzt: Genetiker stehen unter Ausnahmegesetz. Jede mediale Wichtigtuerei, jeder unernste Zungenschlag ist ihnen faktisch verboten, von Experimentalbetrug und vorschneller Verkündung von "Ergebnissen" ganz zu schweigen.

Wie der Fall mit dem heringhaften Schweinebauch einzuordnen ist, läßt sich zur Stunde noch nicht ganz übersehen. Die "Genießer ohne Reue" sollten sich auf jeden Fall nicht zu früh freuen. Hochmut kommt recht oft vor dem Fall.


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