© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

"Katastrophaler Eingriff in die Natur"
Verkehrspolitik: Umstrittenes Jahrhundertbauwerk soll Rügen mit dem Festland verbinden / Proteste von Umweltschützern
Thure Anders

Drei Worte genügen: Runter von Rügen!" Die zu DDR-Zeiten spöttelnde Antwort der Rüganer auf einsetzende Anreisewellen von Urlaubern aus Sachsen oder Berlin stimmt heute so nicht mehr: Denn jeder Gast ist willkommen, und das Abreisen fällt allen schwer. Kilometerlang, Blech an Blech, Meter für Meter schiebt man sich jeden Sommer mühsam wieder von der größten Insel Deutschlands.

Schuld daran ist der Rügendamm. Die 1936 errichteten Brücken des Rügendamms mutierten durch das wachsende Verkehrsaufkommen von täglich bis zu zwanzigtausend Fahrzeugen in den letzten fünfzehn Jahren zu einem Nadelöhr für sonnenhungrige Touristen und den Fährhafen Sassnitz.

Das Problem der verkehrstechnischen Anbindung nach Rügen ist alt. Die ersten Anfänge reichen bis 1813 zurück. Seither plante man Schiffsbrücken, Doppelstockbrücken, Dämme und sogar Tunnel, um eine Festlandanbindung zu realisieren. Nach Jahrzehnten einer Eisenbahnfährverbindung als Zwischenlösung wurden die Forderungen in den Petitionen der Einheimischen an den Preußischen Landtag schließlich immer massiver, so daß man sich letztlich für den Beginn der Bauarbeiten zum Rügendamm im September 1931 entschied. Er sah die Vereinigung von Straße und Eisenbahn vor. Beide sollten fortan auf einem gemeinsamen Damm den Ziegelgraben und den Strelasund überqueren.

Nach einer Bauzeit von etwa fünf Jahren wurden dann endlich die Ziegelgrabenbrücke von Stralsund zum Dänholm und die sich anschließende Strelasundbrücke für den Verkehr freigegeben. Nachdem 1945 beide gesprengt und bis 1961 wieder im Originalzustand wiederhergestellt waren, erfolgte 1989 die Elektrifizierung des Zugbetriebs und von 1992 bis 1999 eine Generalreparatur. Aufgrund einer Kleinen Anfrage des CDU-Abgeordneten Jörg Vierkant zur Zukunft des Rügendamms stellte die Rot-Rote Landesregierung erst vor drei Jahren klar, daß dieser auf Jahrzehnte erhalten bleibt und die Unterhaltungskosten weiter vom Bund getragen werden.

Doch wie mit dem erhöhten Verkehrsaufkommen umgehen? War man sich anfangs beispielsweise noch sicher, daß die Planungen für eine Hochbrücke einer Tunnellösung weichen mußte, so wurde schon kurze Zeit darauf in den lokalen Medien eine zweite Rügenquerung ein absolutes Muß. Noch hin und her gerissen zwischen den Plänen um eine Erweiterung des bestehenden Rügendamms um eine Spur und einem privat finanzierten Neubau mit Fördermitteln, entschied man sich im Schweriner Verkehrsministerium für einen komplett aus dem Bundesetat finanzierten Neubau. Doch der war von Anfang an heftig umstritten.

Zum Baubeginn am 31. August 2004 prangte direkt gegenüber dem offiziellen Festzelt sinnbildlich für den Protest ein Transparent mit der Aufschrift "Teure Brücke - Riesenstraße - Größenwahn - bei leerer Kasse".

Umweltverbände wie der Naturschutzbund (Nabu) und der BUND kritisierten die Eingriffe in eine Verbindungslinie zwischen den Vogelschutzgebieten des Greifswalder Boddens und der Vorpommerschen Boddenlandschaft. Sie befürchten jährlich Zehntausende toter Vögel. Bausachverständige wie Hans Hebner, Spezialist für Gründungstechnik und Statik, zweifelten an der Notwendigkeit eines Neubaus und plädierten für die Erweiterung des bestehenden Rügendamms - auch aus Kostengründen. Einige Stralsunder fürchteten um den Status ihrer 2002 zum Weltkulturerbe erklärten Stadt - denn das Wahrzeichen Stralsunds, die Marienkirche, ist mit 106 Metern 20 Meter kleiner als der Polygon des neuen Brückenschlags.

Die bundeseigene Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) sah nach Abwägung der Argumente als Bauherr allerdings keine Alternative zum geplanten Neubau. So entkräftete sie die Auffassung der Umweltschutzverbände bezüglich der Vogelzüge und der Beeinträchtigung der Fischzüge durch 500.000 Euro teure Untersuchungen, die dafür eine Entwarnung geben. Angesprochen auf die Alternative einer Straßenverbreiterung des alten Rügendamms erklärte der Amtsleiter im Stralsunder Straßenbauamt, Ralf Sendrowski, daß dies nach seiner Ansicht technisch unmöglich und der Untergrund viel zu labil wäre.

Auch die Kritik an einer Hochbrücke sieht er aus einer anderen Warte. Schließlich wäre dann eine Abstimmung beider Brückenzüge über den Ziegelgraben notwendig, um den Schiffsdurchlaß zu gewährleisten, und eine Schiffspassage von 80 bis 100 Metern aus sicherheitstechnischen Gründen zu gefährlich.

Seit 2004 eine Riesenramme im Anderthalb-Sekunden-Takt die Stralsunder Altstadt erschütterte, wächst nun Tag für Tag das größte und längste Brückenbauwerk Deutschlands vor der Insel Rügen aus dem Boden. Die Thyssen-Krupp GfT Bautechnik liefert für den gigantischen Brückenschlag allein 6.250 Tonnen Stahl - Material für eine etwa 4,1 Kilometer lange Hochseilbrücke.

Kernstück des Projekts vom Rostocker Architekten Andre Keipke ist eine Hochbrücke über den Ziegelgraben mit einer Schiffsdurchfahrtshöhe von 42 Metern. 1912 wurde eine solche Lösung noch verworfen, denn die Denkschrift "Die Überbrückung des Strelasund und ihre Wirkung für Stralsund und Rügen" führt aus, daß dies mit einer langen und hohen Auffahrrampe und damit enormen Kosten verbunden wäre.

Die liegen heute bei einer Auftragssumme von 85 Millionen Euro und sollen derzeit noch bis zu 100 Prozent durch den Steuerzahler aufgebracht werden. Spekulationen bezüglich einer Erhöhung der Baukosten um 15 Millionen Euro durch den Anstieg der Stahlpreise wollte die Deges weder bestätigen noch dementieren.

Für Marlies Preller, Sprecherin des Nabu, ist das Jahrhundertbauwerk ein "katastrophaler Eingriff für die Natur" - der nun nicht mehr zu verhindern ist. Statt dessen will man nun gegen den weiterführenden Bau der Bundesstraße 96n auf der Insel Rügen kämpfen. Die neue Trasse bis zur Kreisstadt Bergen "zerschneide" weite Teile der Insel. Da dazu aber mehrere teure Brückenbauwerke notwendig sind, dürfte die B96n allerdings eher am Bundesfinanzminister scheitern.

Foto: Schwimmkran montiert in Stralsund Spitze der Rügenbrücke: Marienkirche ist 20 Meter kleiner als der Polygon des Brückenschlags


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen