© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Das Pendel schwingt zurück
Ukraine: Partei des 2004 gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Janukowitsch wird stärkste Kraft / "Blau-orangene" Koalition nicht ausgeschlossen
Wolfgang Seiffert

Mit der Auszählung der bei der Parlamentswahl in der Ukraine abgegebenen Stimmen ließ sich die Wahlkommission diesmal viel Zeit. Doch am Ende zeigten die Ergebnisse für die einzelnen Parteien wieder eine deutliche Nähe zu den Voraussagen. "Zwei Gewinner - ein Verlierer", titelten russische und ukrainische Zeitungen und meinten damit den Wahlsieg des bei den Präsidentschaftswahlen 2004 unterlegenen Ex-Premiers Viktor Janukowitsch. Dessen Partei der Regionen (PR) erhielt fast 8,1 Millionen Stimmen, und so wurden die schon abgeschriebenen "Blauen" mit 32,12 Prozent die stärkste Partei.

Zweite wurde die im September 2005 entlassene Regierungschefin Julia Timoschenko, deren Wahlblock BJuT mit 5,6 Millionen Stimmen auf 22,27 Prozent kam. Der Block von Präsident Viktor Juschtschenko und des Premiers Juri Jechanurow, "Unsere Ukraine" (BNU), erhielt nur 3,5 Millionen Stimmen und wurde mit 13,94 Prozent dritte Kraft.

Hatten bei der Präsidentenwahl 2004 die Vertreter der "orangenen Revolution" gewonnen, die sich auf die EU und den Westen und gegen Rußland orientierten, so schwang das Pendel nun wieder zurück zu jenen politischen Kräften (PR), die zwar eine unabhängige Ukraine, aber gleichzeitig auch ein gutes Verhältnis zu Rußland wollen.

Rechnerisch könnte "Orange" die Regierung stellen: Der BJuT und der BNU hätten zusammen mit den Sozialisten (SPU) von Alexander Moros (1,4 Millionen Stimmen/5,67 Prozent) eine Mehrheit im Parlament, denn außer den Kommunisten (KPU) mit 3,66 Prozent scheiterten die anderen 40 Bündnisse an der Drei-Prozent-Hürde.

Julia Timoschenko will Ministerpräsidentin werden

Unter den 22 Prozent Sonstigen sind die "orangenen" Studenten von Pora-RPR mit 1,47 Prozent. Sie hatten Boxweltmeister Vitali Klitschko als Spitzenmann aufgestellt, der als Bürgermeisterkandidat in Kiew immerhin Zweiter wurde. Die Grünen (PEP-EKO) kamen auf 0,47 Prozent, die "Partei für die Politik von Putin" erhielt 0,12 Prozent. Der sowjetnostalgische Block von Natalija Witrenko, die dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko demonstrativ zum 83-Prozent-Wahlsieg gratuliert hatte, erhielt 2,93 Prozent. Sie forderte erfolglos eine Neuauszählung.

Daß die machtbewußte Julia Timoschenko (JF 13/06) Anspruch auf das Ministerpräsidenten-Amt erhoben hat, überrascht nicht. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Präsident Juschtschenko, bei dem letztlich das Entscheidungsrecht liegt, ist bemüht, mit allen ins Parlament gewählten Parteien zu sprechen. Manche meinen sogar, Juschtschenko steuere auf eine "große" blau-orangene Koalition zu. Denn im Juschtschenko-Lager gibt es auch Stimmen, die eine Koalition mit dem Wahlsieger, der PR von Janukowitsch, fordern.

Dafür sprächen vielerlei Gründe. Einerseits kann man den Erfolg der "Blauen" nicht total ignorieren; andererseits ist das gestörte Verhältnis zwischen Juschtschenko und Timoschenko nicht so einfach zu kitten. Hinzu kommt, daß auch Industrielle wie der Janukowitsch-Unterstützer Rinat Achmetow für eine Koalition der "Blauen" mit dem BNU eintreten. Auch andere Oligarchen befürchten von Timoschenko neue Privatisierungen. Selbst der US-Botschafter in Kiew, John E. Herbst, plädiert für eine "Große Koalition".

Für den Präsidenten fällt ins Gewicht, daß er für fünf Jahre gewählt und daher bis 2009 an "ruhigen" Verhältnissen interessiert ist. Die russische Iswestija verweist zu Recht darauf, daß die Wahlen erneut die "Spaltung" der Ukraine offenbart hätten. Und in der Tat, die PR hat in den mehrheitlich russischsprachigen osturkainischen Industriegebieten wie Charkiw (Charkow), Donezk, Luhansk (Lugansk) und Saporischschja (Saporoschje/Alexandrowsk), im südlichen Mykolajiw (Nikolajew) oder auf der Krim - die bis 1954 zu Rußland gehörte - zwischen 50 und 75 Prozent der Stimmen erhalten.

Blauer Wahlsieg im Osten, orangene Mehrheit im Westen

Timoschenko hat ihre Hochburgen mit über 40 Prozent in der Region um Kiew und im nordwestlichen Wolhynien an der Grenze zu Polen. In Donezk, Luhansk und Sewastopol lag ihr BJuT hingegen unter drei Prozent - genauso wie die Präsidentenpartei. Der BNU feierte seine Erfolge hingegen vor allem in der galizischen Westukraine, die bis 1919 Teil der k.u.k.-Monarchie war.

Im den Gebieten Stanislau (Iwano-Frankiwsk), Lemberg (Lwiw/Lwów) und Tarnopol (Ternopil) sowie in der Bukowina (Tschernowitz) und in Transkarpatien (Uschhorod/Ungwar) erzielte der BNU - wie auch der BJuT - über 25 Prozent. In Galizien lag hingegen die PR klar unter fünf Prozent.

Das muß aber eine Regierungschefin Timoschenko nicht ausschließen, ist sie doch zur Erreichung ihrer Ziele zu allem bereit - auch wenn sie eine Koalition mit den "Blauen" weit von sich weist. Auf die Frage, ob die Ukraine sich weiter auf die EU zubewegen werde, sagte sie: "Natürlich, aber das darf das Verhältnis zu Rußland nicht zerstören."

Bis 2005 stand sie noch auf einer Fahndungsliste der russischen Generalstaatsanwaltschaft. Sie wurde davon gestrichen, nachdem sie in Moskau ausgesagt hatte. Seitdem hält sich das Gerücht, sie werde bei guter Zusammenarbeit mit Rußland gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine eintreten.

Die Zeit arbeitet nicht für vom Westen geförderte politische Kräfte. Die Proteste gegen den in der "Rosenrevolution" ins Amt gekommenen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili sind nur ein Indiz dafür. Eine Weltbank-Studie kam auch zu dem Schluß, daß sich Rußland zum neuen Zentrum ehemaliger Sowjetrepubliken entwickelt.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel und lehrte am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften.


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