© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Wiedergutmachung durch Selbstbedienung
Warten auf das Ende der "Paketlösung": In Polen und Rußland wird die "Beutekunst" zunehmend historisch instrumentalisiert
Oliver Busch

Nach dem gewaltsamen Ende der Raubzüge Napoleons, der bekanntlich die Quadriga des Brandenburger Tores nach Paris verschleppen ließ, begann sich in Europa die Einsicht durchzusetzen, daß die Wegnahme "feindlicher" Kulturgüter kaum den militärischem Erfolg befördert. Seit 1815 hat sich daher ein Völkergewohnheitsrecht entwickelt. In der Haager Konvention von 1899 und in der Haager Landkriegsordnung (1907) wurde das Verbot der Beschlagnahme von Kulturgütern in Besatzungszeiten kodifiziertes Völkerrecht.

Wie der Berliner Rechtsanwalt Christoff Jenschke in seinem Beitrag für das dickleibige, ganz der "Beutekunst" gewidmete Osteuropa-Doppelheft (1-2/06) ausführt, hielten sich die Kriegsparteien weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg an das strikte Wegnahmeverbot. Nur in einer Fußnote weist er dabei darauf hin, daß der deutsche und sowjetrussische Kunstraub von den Japanern "deutlich in den Schatten" gestellt werde: Die Geschichte der asiatischen "Kulturverschiebungen" während des Zweiten Weltkrieges müsse noch geschrieben werden.

Freilich haben deutsche Historiker und Juristen noch auf Jahre hinaus mit hausgemachten Problemen zu tun. Im Mittelpunkt steht dabei das Bestreben der russischen Regierung, ihre Beute von 1945, deutsches und jüdisches Kulturgut, möglichst ungeschmälert behalten zu dürfen. Putins Völkerrechtler berufen sich dabei auf das Institut der "kompensatorischen Restitution". Moskau möchte also die Schätze deutscher Museen und Bibliotheken deshalb behalten, um die von der Wehrmacht in Stalins Reich angerichteten Schäden, aber auch um die von deutschen Dienststellen "gesicherten" sowjetischen Kulturgüter zu ersetzen. Einmal abgesehen davon, daß das kompensatorische Rechtsinstitut der "restitution in kind" noch Gegenstand völkerrechtlicher Debatten ist und bis 1945 keine völkergewohnheitsrechtliche Geltung hatte, ist zudem unbestreitbar, daß der "Sieger" nicht, wie von russischer Seite geschehen, per Dekret einfach festlegen darf, was er als "Ersatzgegenstand" gern behalten möchte. Die gegenwärtige russische Handhabung laufe also darauf hinaus, den Deutschen die völkerrechtswidrige "Selbsthilfe" zur Durchsetzung von "Wiedergutmachung" als "Recht" aufzuzwingen. Ob Jenschkes Vorschlag realitätstauglich ist, diesen Restitutionsstreit dadurch zu entscheiden, daß man eine Schiedskommission einsetzt, um die "Beutekunst" aus den russischen Geheimdepots zurückzuholen, darf allerdings bezweifelt werden.

Polen reklamiert nach wie vor das Provenienzprinzip

Der Zweifel erhält kräftige Nahrung, wenn man die rabiate polnische Position der Kunsthistorikerin Nawojka Cieslinska-Lobkowicz (Warschau) zur Kenntnis nimmt. Die deutsch-polnischen Verhandlungen sind bislang ergebnislos verlaufen. Nicht zuletzt deshalb, weil, wie Cieslinska-Lobkowicz ungehalten einräumen muß, die deutschen Forderungen an Polen quantitativ und qualitativ wesentlich höher als die polnischen an Deutschland seien. Die immer noch in Krakau rechtswidrig zurückbehaltenen Handschriften, Musikalien und Bücher der Berliner Staatsbibliothek sind dabei nur die - wenn auch einer breiten Öffentlichkeit vertrauteste - Spitze des Eisbergs, da den Polen 1945/46 in Niederschlesien und Hinterpommern ausgelagertes Kulturgut in großen Mengen in die Hände fiel.

Würde das von Polen reklamierte Provenienzprinzip rigoros durchgesetzt, wonach Archivalien zu ihrem Territorium "gehören", müßte sich demnächst sogar die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von ihren Danziger, Königsberger, Stettiner und Breslauer Akten trennen, um sie den neuen Herren in Gdansk oder Kaliningrad zu überlassen. Kunstgegenstände aus Danziger Museen und Kirchen befanden sich denn auch 1995 auf einer Liste, mit der die polnische Seite Restitutionsansprüche geltend machte. Diese Forderung wurde von bundesdeutschen Unterhändlern, die erstaunliches Rückgrat zeigten, zurückgewiesen und mit der eigenen Forderung verknüpft, Polen möge doch zunächst einmal die geraubten Schätze der Berliner Staatsbibliothek zurückgeben, für die Warschau nach Moskauer Vorbild inzwischen auf die "kompensatorische Restitution" pocht.

Trotzdem spricht Cieslinska-Lobkowicz von "mangelnder Wirksamkeit" der polnischen Restitutionspolitik, da man zwar kaum etwas herausgegeben habe, aber auch wenig gegenüber den Deutschen, den Russen und US-Amerikanern durchsetzen konnte. Sie setzt ihre Hoffnung auf weitere "systematische Provenienzforschungen", auf Recherchen in deutschen Museen und Bibliotheken, die vor kurzem, mit dem in Heidelberg entdeckten Guardi-Gemälde aus dem Warschauer Nationalmuseum, zu einem schönen polnischen Erfolg geführt habe. Wenn auch "spektakuläre Effekte und schnelle politische Ergebnisse" aufgrund der völlig festgefahrenen deutsch-polnischen Restitutionsverhandlungen nicht zu erwarten seien, so lasse sich vielleicht die Berliner Strategie der "Paketlösung" (polnische Objekte nur gegen Herausgabe des Eigentums der Staatsbibliothek) aufweichen.


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