© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Das Zeitalter der Großsegler und der Dreadnoughts
Mit dem vorletzten Band der "Weltgeschichte der Seefahrt" hat Helmut Pemsel die populärwissenschaftliche Gesamtschau beinahe vollendet
Rolf Buergel

In der JF 42/05 wurde Band 5 der siebenbändigen "Weltgeschichte der Seefahrt" des österreichischen Marinehistorikers Helmut Pemsel vorgestellt. Er ist zugleich der erste Band der Geschichte der Seekriege für den Zeitraum von etwa 1200 vor bis 1650 nach Christus. Jetzt liegt der zweite Band (Band 6 des Gesamtwerkes) vor, der nahtlos daran anschließt und die Jahre von 1650 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 behandelt.

Er beschreibt die großen Seekriege zwischen England und den Niederlanden im 17. Jahrhundert um die Beherrschung des Welthandels. Es folgt im 18. Jahrhundert der Zweikampf zwischen Großbritannien und Frankreich um die Vorherrschaft in Europa und Übersee. In diese Zeit fällt der Siebenjährige Krieg. Pemsel macht deutlich, daß dieser Konflikt bereits nicht unwesentlich zur See entschieden wurde. Durch den Krieg gegen Preußen konnte Frankreich seine Kolonien nicht ausreichend schützen, und England konnte so Kanada für sich gewinnen. Auf der anderen Seite unterstützte England Preußen finanziell und bewirkte mit seiner Seemacht, daß sich Frankreich nicht mit voller Kraft gegen Preußen wenden konnte.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es vor Kap Trafalgar zwischen der britischen Flotte unter Admiral Horatio Nelson und der vereinigten französisch-spanischen Flotte zu einer der entscheidenden Seeschlachten der jüngeren Geschichte, die in Deutschland aber meist nur als Randnotiz wahrgenommen wird. Tatsächlich war der britische Seesieg, der ihre uneingeschränkte Seeherrschaft für das nächste Jahrhundert zementierte, der Anfang vom Ende der Herrschaft Napoleons. Danach hat es in diesem Jahrhundert bis zur Seeschlacht von Tsushima 1905 keine großen Seekriege mehr gegeben, wohl aber eine Vielzahl von maritimen Auseinandersetzungen zwischen den Flotten kleiner und junger Staaten. Genannt seien die Unabhängigkeitskämpfe der südamerikanischen Staaten, die Kriege der Türkei gegen Ägypten, Mexiko gegen Texas, USA gegen Mexiko, der Opiumkrieg und der erste deutsch-dänische Krieg, der Krimkrieg, der amerikanische Sezessionskrieg, der zweite deutsch-dänische Krieg, der deutsch-französische Krieg, der japanisch-chinesische Krieg und der amerikanisch-spanische Krieg.

Die Jahre vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 waren vor allem geprägt durch den Eintritt zweier außereuropäischer Mächte in den Kreis der großen Seemächte: Japan und die USA und durch die Formierung der Kräftegruppen, die sich dann in dem großen Völkerringen nach 1914 gegenüberstehen sollten. Es war die Zeit der großen Flottenbauprogramme ausgehend vom britischen Naval Defence Act 1889. Es war die Zeit des "new navalism", wie der US-Historiker William Langer sie später nannte. Herausragendes Ereignis war der Seekrieg zwischen Rußland und Japan 1904/05, der die Machtverhältnisse nicht nur in Asien, sondern auch in Europa nachhaltig verändert hat.

Ein besonderes Kapitel ist der umwälzenden Entwicklung im Kriegsschiffbau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gewidmet: vom Segel- zum Dampfschiff erst mit Kohle-, dann mit Ölfeuerung, von Holz- zum Eisen- und Stahlrumpf, vom Vorderlader zur Kanone mit gezogenem Lauf und einer Reichweite bis zu zwanzig Kilometern, die Einführung des Torpedos, des U-Bootes und erster Flugzeuge, der Funktelegraphie und der damit zusammenhängenden Verschlüsselung und Dechiffrierung sowie die Einführung der Elektrizität. Es waren Entwicklungen, die sowohl den Flottenbau als auch die Seekriegführung entscheidend geprägt haben.

Den Texten sind jeweils Karten gegenübergestellt, die die Ereignisse besonders anschaulich machen, die aber kein Ersatz für einen Geschichtsatlas sind und sein sollen. Im Kapitel über die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts werden sie ergänzt durch Schiffskizzen von Panzerschiffen, Kreuzern und Kanonenbooten, um die rasante Entwicklung dieser Schiffstypen innerhalb des relativ kurzen Zeitraums von nur fünfzig Jahren optisch zu verdeutlichen.

Den sechs Hauptkapiteln ist jeweils eine marinepolitische Einführung vorangestellt, die allein für sich betrachtet schon eine kurz gefaßte maritime Weltgeschichte darstellen. Da es für den behandelten Zeitraum - besonders für das 19. und 20. Jahrhundert - bereits umfangreiche Fachliteratur gibt, bietet sie dem marinegeschichtlich Versierten allerdings keine neuen Fakten und Erkenntnisse wohl aber einen durchaus interessanten Überblick. Damit füllt sie die populärwissenschaftliche Lücke, da allgemein den Geschehnissen zur See in deutschen historischen Handbüchern in der Regel doch nur einen geringen Stellenwert eingeräumt wird. Abgerundet wird der Band durch einen umfangreichen Anhang mit ergänzenden Angaben über die Zusammensetzung der Flotten und ihrer Verluste.

Alles in allem ist der "Pemsel" ein wichtiges Nachschlagewerk für die Marine- und Seekriegsgeschichte, nach Aufbau und Informationsdichte dem "Ploetz - Die große illustrierte Weltgeschichte in acht Bänden" vergleichbar. Ähnliche Gesamtübersichten der Marinegeschichte kompensiert er aber trotzdem nicht. So hebt sich ein anderes Standardwerk, das Buch "Seemacht - Eine Seekriegsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart" des internationalen Historikerkollektivs Elmar Potter, Chester Nimitz und Jürgen Rohwer (1974 und 1985) in der wissenschaftliche Qualität um einiges vom "Pemsel" ab. Dafür ermöglicht jener durch seinen lexikalischen Aufbau einen schnelleren Zugriff auf die Daten, ohne dabei die Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Und darin ist das Werk wirklich einzigartig.

Das Erscheinen des abschließenden dritten Bandes (Band 7 des Gesamtwerkes) ist noch für das laufende Jahr angekündigt. Man darf gespannt sein.

Helmut Pemsel: Seeherrschaft II. Seekriege und Seepolitik von 1650 bis 1914. Weltgeschichte der Seefahrt, Bd. 6. Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg 2005, XVIII und 475 Seiten, gebunden, Abbildungen, 52 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen