© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Kolumne
Ein fatales Urteil
Bruno Bandulet

Wie sehr sich doch die Verhältnisse innerhalb von weniger als zwölf Monaten ändern können. Erst im vergangenen Sommer zog Angela Merkel mit dem mutigen Steuerkonzept von Paul Kirchhof in den Wahlkampf. Der Professor wollte das komplizierteste Steuersystem der Welt, nämlich das deutsche, radikal vereinfachen, die fast 40 Steuerarten auf vier zusammenstreichen, praktisch alle Subventionen und Vergünstigungen abschaffen und den Höchstsatz der Einkommensteuer linear bei 25 Prozent ansetzen. So sollte sich das Land am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Stagnation und Massenarbeitslosigkeit ziehen.

Daß in der Großen Koalition davon nichts übriggeblieben ist, daß die Union in einer atemberaubenden 180-Grad-Drehung auf den Steuersozialismus der SPD eingeschwenkt ist, hat selbst diejenigen Beobachter überrascht, die aus Erfahrung wissen, daß Politiker in Wahlkämpfen äußerst sparsam mit der Wahrheit umgehen. Nun aber hat das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvR 2194/99) die herrschenden Machtverhältnisse und die sozialdemokratische Staatsdoktrin auch noch sanktioniert. Es hat ein früheres Urteil vom 22. Juni 1995 und damit den sogenannten Halbteilungsgrundsatz gekippt, in dem von einer hälftigen Teilung der Einkommen zwischen privater und öffentlicher Hand die Rede war. Geklagt hatte jetzt ein Gewerbetreibender, dessen Einkommen- und Gewerbesteuer sich auf knapp 60 Prozent summierte. Das sei nicht zuviel, fanden die Richter. Damit hat Karlsruhe ein verheerendes Signal gesetzt. Man fragt sich, wo denn nun die Obergrenze liegen soll. In Deutschland hat es sich offenbar noch nicht herumgesprochen, daß die Steuereinnahmen bei übermäßig steigender Belastung nicht mehr zu-, sondern abnehmen. Bei einem Satz von 100 Prozent sinken sie auf Null.

Schon jetzt gehen dem Fiskus Milliardenbeträge verloren, weil Wohlhabende und Tüchtige den Koffer packen und auswandern - in die Schweiz, nach Österreich, nach Nordamerika, bis nach Südafrika. In Kapstadt und Umgebung haben sich bereits 50.000 Deutsche niedergelassen! In dem Land aber, das sie verlassen haben, glaubt nach Umfragen immer noch eine Mehrheit, der Sozialismus sei im Prinzip eine gute Sache, er sei nur falsch praktiziert worden. Daher auch der Appell der Politiker an den Neid, siehe die Reichensteuer. Populär ist nicht die Schaffung, sondern vielmehr die Umverteilung von Reichtum. Weil aber Ausreiseverbot und Mauerbau keine Option mehr sind, wird sich unter diesen Umständen der Exodus der Leistungsfähigsten fortsetzen.

 

Bruno Bandulet ist Herausgeber des DeutschlandBriefes und des Finanzdienstes G&M.


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