© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Thomas Flierl
Minister der Täter
von Doris Neujahr

Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) war sichtlich nervös, als das Abgeordnetenhaus am Mittwoch vergangener Woche über seinen Auftritt in der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen debattierte. Auch der Koalitionspartner SPD kritisierte scharf, daß Flierl es unterlassen hatte, die ehemaligen Stasi-Kerkermeister in die Schranken zu weisen, die in einer konzertierten Aktion eine Podiumsdiskussion quasi "gekippt" und ihre Wirkungsstätte als eine Art Erholungsheim beschrieben hatten (JF berichtete). Flierl hatte sie als "Zeitzeugen", als gleichberechtigte Beiträger zur Wahrheitsfindung gewürdigt.

Noch vor dem Parlament wollte er dazu nicht mehr sagen, als daß er Fehler einräume "hinsichtlich der Frage, wie ich mich auf dem Podium hätte verhalten sollen". Doch tatsächlich wird hier kein bloßes Versagen sichtbar, sondern die Methode Flierls. Nachsicht hier, Härte dort: Ins Gedächtnis rückt etwa seine Unerbittlichkeit, als es um den Abriß des Mauerkreuz-Mahnmals am Checkpoint Charlie im Juli 2005 ging (JF berichtete), den er trotz des Protests der SED-Opferverbände unterstüzte. Ihn nun einen Neo-Stalinisten zu nennen, wäre allerdings falsch. Denn so eindimensional und harmlos ist er gerade nicht.

Flierl, 1957 in Ost-Berlin geboren, promovierter Philosoph und Kulturwissenschaftler, trat bereits 18jährig der SED bei. Wegen der Kritik an der Sprengung historischer Bausubstanz verlor er 1985 eine Uni-Assistenzstelle. Zwei Jahre später wurde er jedoch im DDR-Kulturministerium angestellt. Nach der Wende trat er aus der Partei aus und wieder ein, wurde 2002 Kultursenator. Inzwischen hat er der Berliner Kulturlandschaft seinen Stempel aufgedrückt. Flierl plant strategisch und hat bei der Besetzung und Ausgestaltung von Begriffen, Positionen und öffentlichen Räumen Geschick bewiesen. Von westlicher Dominanz im Berliner Kulturbetrieb redet heute keiner mehr. Im Grunde ist es ihm - wie seiner Partei - längst gelungen, gesellschaftlich wie politisch als makellos und gleichberechtigt, ja mitunter als attraktiv zu gelten. Diese Selbstsicherheit dürfte Flierl dazu verleitet haben, jene Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden der Opfer an den Tag zu legen, die die PDS stets leugnet und täglich praktiziert. Nun sieht er sich Angriffen der FDP ("Senator für Unkultur") und Rücktrittsforderungen der CDU gegenüber. Unangenehm, aber nicht gefährlich, denn in Berlin steht Wahlkampf bevor, danach werden die Bürgerlichen ihre Empörung vergessen haben.

Derweil kann Flierl weiterwirken, etwa an einem neuen gesamtdeutschen Selbstverständnis, das er aus einem Spektrum links-emanzipatorischer Strömungen herausdestillieren will, das von Rosa Luxemburg über linke Nazigegner bis zu Rudi Dutschke reicht. Vor weiteren Fettnäpfchen wird er sich hüten, die strategische Demütigung der SED-Opfer, die dieses Konzept zwangsläufig beinhaltet, geht indes weiter.


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