© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

"Weg in die Erziehungsdiktatur"
Die Medienwissenschaftlerin Ute Scheuch über den Plan, Journalismus mittels "Sprachfibel gegen Rassismus" zu reglementieren
Moritz Schwarz

Frau Dr. Scheuch, der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat auf der Buchmesse in Leipzig angekündigt, eine "Sprachfibel gegen Rassismus" herauszubringen (siehe auch Seite 7). Schon jetzt bezeichnet der Verband die geplante Handreichung als "unverzichtbares Werkzeug" für den "journalistischen Alltag".

Scheuch: Die bloße Vorstellung ist abwegig, ja absurd, daß ein Reporter oder Redakteur tatsächlich diese Sprachfibel bei seiner Wortwahl zu Rate ziehen soll, um sicher zu sein, daß seine Berichterstattung auch politisch genehm, "korrekt" ist. Dieser Journalist würde im vorauseilenden Gehorsam sich einer selbsternannten Erziehungsinstanz unterwerfen.

Also kein "Beitrag zur Demokratie"?

Scheuch: Nein, denn damit hätte Willy Brandt recht mit seiner Warnung: "Journalismus kann abdanken, wenn er harmlos wird". So ein Fibel-Unwesen würde die Funktion des Journalisten als kritischer Begleiter in der Demokratie einengen. Das Ganze ist insofern erstaunlich, als sich sehr viele Journalisten selbst als "Vierte Gewalt" sehen. Dies würde aber durch vorgegebene Sprachregelungen in das Gegenteil verkehrt.

"Den Medien unterschwellig Rassismus unterstellen"

Die Fibel soll laut DJV all jene Wörter auflisten, die "Antisemitismus" und "Rassismus" Vorschub leisten und die Journalisten deshalb nicht mehr verwenden sollen.

Scheuch: Der DJV stellt nach eigenen Worten fest, daß "die deutschen Medien glücklicherweise weitgehend frei von rassistischen Angriffen sind". Und so werden als Beispiele für die künftig per Fibel zu indizierenden Wörter auch nicht etwa Begriffe wie "Weltjudentum" oder "Blutschande" genannt, sondern erstaunlicherweise Begriffe wie "Asylbewerber" oder "Gutmensch". Denn nur so kann unterschwellig fast allen deutschen Medien unterstellt werden, Helfershelfer des "Antisemitismus" und "Rassismus" zu sein.

DJV-Vorsitzender Michael Konken formuliert als Ziel der Initiative, die "Sprache zu reinigen".

Scheuch: Diese Formulierung klingt in meinen Ohren wie die Selbstaufgabe eines hehren Anspruches. Wir sind doch stolz darauf, in einer freiheitlichen Gesellschaft zu leben. Freiheit ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zu den autoritären und totalitären Diktaturen, die mit ihren brutalen Freiheitsberaubungen in Europa gescheitert sind. Freiheitlich aber bedeutet, daß das, was "gut" und "richtig" ist, nicht von vornherein festgelegt, sondern Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses ist, einer Konkurrenz der Meinungen und Anschauungen. Die Vorstellung von einer "Reinigung" der Sprache - und damit einhergehend und eigentlich auch vor allem gemeint: eine Reinigung des Denkens - beinhaltet die Annahme, daß das, was gesellschaftlicher Konsens sein soll, nicht das Produkt eines Diskurses, sondern Edikt einer höheren "moralischen" Instanz ist. Das ist das klassische Muster der Erziehungsdiktaturen!

Der DJV auf totalitären Pfaden?

Scheuch: Ganz sicher und auch zu Recht würde der DJV diese Verdächtigung scharf zurückweisen. Aber er läuft zumindest Gefahr, freiwillig freiheitliche Grundrechte aufzugeben.

Die Ausarbeitung der Fibel soll das DISS, das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (siehe auch Seite 12), übernehmen. Wie schätzen Sie das Institut ein?

Scheuch: Professor Siegfried Jäger, der Leiter des Instituts, vertritt zum Beispiel die Auffassung, es habe nichts gebracht, das Wort "Asylant" durch das Wort "Asylbewerber" zu ersetzen, denn Asylbewerber sei bald ebenso negativ besetzt gewesen wie zuvor Asylant. Deshalb, so Jäger, müsse es darum gehen, "den Begriff zu dekonstruieren", und das heiße nichts anderes, als "die Deutung eines gesellschaftlichen Sachverhaltes grundsätzlich zu verändern". Orwell hat in seiner Horrorvision "1984" die De- und Neukonstruktion von Begriffen als zentrales Manipulationsmittel der Diktatur des Großen Bruders beschrieben. Sie rangiert sogar noch vor dem Mittel der Geheimpolizei! Nun würde im DJV jedermann Wesen und Methoden des Großen Bruders ablehnen. Und entsprechend will man dort die Fibel nur als eine "Empfehlung" verstanden wissen. Doch selbst den bloßen Versuch der Manipulation unserer Wirklichkeit durch "empfohlene" Beschönigungen, Umdeutungen oder Verschweigen von Mißständen sollten wir abwehren. Mein Mann, der Soziologe Erwin K. Scheuch, hat einmal formuliert: "Wenn Sie nicht einmal in Ihrer Wortwahl mehr frei sind ..., ja, im vorauseilenden Gehorsam das eigene Beugen schon gar nicht mehr bemerken, dann ist es schlimm um die Unbefangenheit bestellt, die zur Kreativität erforderlich ist."

Das scheint kein gutes Licht auf die Wissenschaftlichkeit des Instituts zu werfen.

Scheuch: Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung hat in der Vergangenheit durch eine affekt- und ressentimentgeladene Sprache ebenso wie durch eine erstaunliche Offenherzigkeit bezüglich seiner Absicht, politisch zu "überführen", statt wissenschaftlich zu analysieren und einzuordnen, auf sich aufmerksam gemacht. Ein Beispiel dafür ist die Studie des DISS über "antisemitische Diskurselemente" in der deutschen Tagespresse aus dem Jahr 2002, die das Institut in der Berichterstattung über den Nahost-Konflikt folgender Zeitungen ausgemacht haben wollte: FAZ, Welt, Tagesspiegel, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und taz. Die NZZ kritisierte die Studie prompt als "Pauschalurteil", die linke Wochenzeitung Freitag des zwischenzeitlich verstorbenen Günter Gaus fragte sich gar, ob der "Befund der Studie (also des Antisemitismus) nicht bereits in der Annahme angelegt sei". Am heftigsten war allerdings die Kritik der Zeit, die der Untersuchung nicht nur "methodische Tricks" und "anklagende Generalisierung", sondern sogar "einen ungebremsten Jargon des Verdachts" und "Verzicht auf verifizierbare Nachweise" attestierte und schließlich mit folgendem Satz nach der Quintessenz der Studie fragte: "Soll man die Realität am Ende ignorieren, bloß um sich nicht eines Vorurteils verdächtig zu machen?"

Man kann also im Zusammenhang mit dem DISS von "Ideologie statt Wissenschaft" sprechen?

Scheuch: Dieser Formulierung könnten noch nicht einmal die Betreiber des DISS widersprechen. Ein Blick auf ihre Homepage genügt: Als Zielsetzung ist dort ganz klar kein wissenschaftlicher, sondern ein politischer Ansatz formuliert: "Auf restaurative und undemokratische Tendenzen hinzuweisen ... und einen Beitrag zur Demokratisierung zu leisten." Und so heißt es zum Beispiel in einer ihrer Veröffentlichungen mit dem Titel "Nation statt Demokratie", hier bediene sich ein - dem Institut offensichtlich unliebsames - Organ "publizistischer Techniken, die sich mit jenen krimineller Giftmüll-Schieber vergleichen lassen". Daß ausgerechnet auf dem DJV-Forum "Diskriminierung durch Sprache und Bilder in den Medien" am 17. März 2006 in Leipzig die Zusammenarbeit mit diesem Institut bekanntgegeben wurde, ist die denkbar schlechteste Empfehlung, um mit der angestrebten Sprachfibel die deutsche Sprache zu "reinigen".

 

Dr. Ute Scheuch Die Sozial- und Medienwissenschaftlerin wurde 1992 durch das Buch "Cliquen, Klüngel und Karrieren" bundesweit bekannt, das sie zusammen mit ihrem Mann, dem im Herbst 2003 verstorbenen Soziologen Erwin K. Scheuch, verfaßt hatte. Sie war als leitende Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten der empirischen Sozialforschung der Universität zu Köln und für die Deutsche Welle tätig. Geboren wurde Ute Scheuch 1943 in Düsseldorf.

Foto: Ute Scheuch: "Journalismus kann abdanken, wenn er harmlos wird" (Willy Brandt)

 

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