© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Durchmarsch möglich
Landtagswahlen: Die Große Koalition in Berlin kann zufrieden sein
Paul Rosen

Es waren die Wahlen der Ministerpräsidenten. Günther Oettinger, Kurt Beck und Wolfgang Böhmer sind die Gewinner des vergangenen Sonntags, auch wenn sich die Generalsekretäre der großen Parteien in Berlin als Sieger proklamierten. Die Regierung von Angela Merkel hat keinen sichtbaren Schaden davongetragen, und darüber sind Union und SPD insgesamt erleichtert. Doch viele Wähler sahen keine Alternativen mehr und blieben einfach zu Hause bis hin zu einem negativen Rekordergebnis in Sachsen-Anhalt, wo nicht einmal jeder zweite Bürger den Weg in sein Stimmlokal fand.

Beide Berliner Regierungsparteien haben Erfolge und Mißerfolge auf dem Konto. Bei einer derart ausgeglichenen Bilanz dürfte sich das bislang gute Arbeitsklima in der Koalition kaum verändern. Andererseits muß sich die Große Koalition jetzt endlich um jene strittigen Themen kümmern, die sie bislang mit Rücksicht auf die Landtagswahlen nicht angepackt hat. Dazu gehören dringend notwendige Reformen des Gesundheitswesen, der Pflegeversicherung und des Rentenrechts ebenso wie die Sanierung der Staatsfinanzen und nicht zuletzt das weite Feld der Arbeitsmarktpolitik. Die Zeit des Abwartens ist für Merkel, Müntefering & Co. jedenfalls vorbei. Nun geht's ans Eingemachte.

Dafür hat der Ausgang der Landtagswahlen beiden Regierungsparteien Rückenwind beschert: Die CDU hat Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt (obwohl dort der Partner gewechselt werden muß) gehalten, die SPD ihre Macht in Rheinland-Pfalz sogar noch ausgebaut. Dagegen steht ein schwerer Mißerfolg in Baden-Württemberg und ein dritter Platz in Sachsen-Anhalt, auch wenn dort eine Beteiligung an der Landesregierung winkt. Aber im Bundesrat ändern sich die Verhältnisse für die Große Koalition nicht zum Negativen. Da die FDP in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nicht mehr mitregiert, fällt es der Opposition schwerer, im Bundesrat die Föderalismus-Reform zu beeinflussen oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verhindern. Aus dieser Sicht könnte man sogar von einem Erfolg der Großen Koalition sprechen.

Dennoch will das Hochgefühl außer bei den Generalsekretären Ronald Pofalla (CDU) und Hubertus Heil (SPD) nicht aufkommen. Die Ministerpräsidenten und die sie in ihren Ländern jeweils tragenden Parteien sind stabil geblieben oder haben sogar dazugewonnen. Aber betrachtet man die Oppositionsparteien, wird das Bild anders. Die CDU in Rheinland-Pfalz war intern zerstritten. Es gab im Landesverband erhebliche Zweifel am Spitzenkandidaten Christoph Böhr, der zum zweiten Mal verlor und noch am Wahlabend den Rückzug von seinen Ämtern erklärte. Für Merkel ist dieses Ereignis schmerzhaft. Im CDU-Präsidium gehört Böhr zu den wenigen ausgewiesenen Unterstützern der Bundeskanzlerin, während Ministerpräsidenten wie Christian Wulff oder Roland Koch nur auf die erstbeste Gelegenheit warten, ihre Ablösung als Parteichefin zu betreiben.

Bei der SPD suchten Parteichef Matthias Platzeck und Heil ihren Erfolg mit dem Hinweis auf Beck und dessen neu gewonnene absolute Mehrheit im rheinland-pfälzischen Landtag zu rechtfertigen. Was Platzeck und Heil verdrängten, war der Absturz der SPD in Baden-Württemberg. Im Süden Deutschlands sind die Sozialdemokraten offenbar nicht mehr imstande, an die 30 Prozent zu kommen. Auch in Sachsen-Anhalt waren nicht mehr als 20 Prozent und ein dritter Platz hinter CDU und Linkspartei drin. Diese Niederlage dürfte wie schon in Sachsen durch eine Regierungsbeteiligung verdrängt werden. Im Ergebnis bleibt aber festzuhalten, daß die SPD eine west-und norddeutsche Partei geworden ist. Im Süden und in den neuen Ländern befindet sie sich am Rande der Bedeutungslosigkeit.

Und die in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nicht in die Landtage gekommene Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) hat doch einiges an Stimmen von der SPD abgezogen. Es ist noch nicht so ganz klar, ob sich die Linke im Westen etablieren kann. Daß die PDS in Sachsen-Anhalt so stark geworden ist, liegt allein an der gesunkenen Wahlbeteiligung. Für die Genossen ist Teilnahme an Wahlen Pflicht.

Die FDP hat sich einerseits stabilisiert, andererseits verliert sie Regierungsbeteiligungen. Parteichef Guido Westerwelle meint, es sei schon ein Fortschritt, heute nur um die Beteiligung an der Regierung zu bangen, während die FDP früher wegen der Fünf-Prozent-Hürde zitterte. Da hat Westerwelle sicher recht. Es ist ihm gelungen, die FDP als parlamentarische Kraft zu stabilisieren.

Nach wie vor im Abwährtsstrudel befinden sich die Grünen. Auch das zweistellige Ergebnis in Baden-Württemberg darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die parlamentarische Basis der Partei immer kleiner wird. In Sachsen-Anhalt und in Rheinland-Pfalz wird es keine grünen Fraktionen geben. Die Partei hat den Abschied von der Macht in Berlin immer noch nicht verdaut, hat keine Perspektiven für die Oppositionsarbeit.

Neben der gesunkenen Wahlbeteiligung fällt auch das Anwachsen der Stimmen der "Sonstigen" auf. Es verdichtet sich der Eindruck einer wachsenden Unzufriedenheit mit den Parlamentsparteien in Deutschland. Nur gibt es niemanden, der diese Unzufriedenheit kanalisieren kann.

"Es verdichtet sich der Eindruck einer wachsenden Unzufriedenheit mit den Parlamentsparteien in Deutschland. Nur gibt es niemanden, der diese Unzufriedenheit kanalisieren kann."


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen