© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Zweifache Odyssee für die Offiziere
Erinnerung an das Schicksal vieler tausend Wehrmachtsoffiziere, die aus westalliierter Kriegsgefangenschaft ins sowjetische Speziallager Sachsenhausen kamen
Ekkehard Schultz

Ein immer noch sehr wenig bekanntes Kapitel der Nachkriegszeit ist die "doppelte Kriegsgefangenschaft", in die Tausende Wehrmachtsoffiziere während bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten. Zu Beginn des Jahres 1946 mit regulären Papieren aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen, wurden sie bei der Fahrt in die Sowjetische Besatzungszone verhaftet und in das Speziallager Sachsenhausen gebracht. Das Lager wurde für viele zur Todesstation. Wer sie überlebte, wurde über Frankfurt /Oder in die Sowjetunion gebracht. Erst Mitte der fünfziger Jahre kamen Überlebende zurück in ihre Heimat.

Dieses tragische Kapitel jüngerer deutscher Geschichte wird seit einigen Monaten in der Gedenkstätte Sachsenhausen intensiver wissenschaftlich erforscht. Auf der Grundlage von Nachlässen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere, die sich im Archiv der Gedenkstätte befinden, ist es möglich, die damaligen Abläufe weitestgehend zu eruieren. Zur Vorstellung der ersten Ergebnisse der Forschungen fand in Sachsenhausen schon im Januar ein Vortrag mit anschließender Zeitzeugenbefragung statt.

Zu Beginn des Jahres 1946 wurden zahlreiche Offiziere und Soldaten aus US-Kriegsgefangenschaft regulär entlassen. Ein Teil von ihnen stammte aus dem Gebiet der nunmehrigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), besaß dort Familienangehörige oder Vertriebene aus den Ostgebieten, die sich vorübergehend dort niedergelassen hatten. So schlugen Tausende entlassene deutsche Offiziere - obwohl es bereits einzelne Warnungen vor eventuellen Verhaftungen und den aktuellen Zuständen in der SBZ gab - mit Sonderzügen den Weg in die Heimat ein.

Doch die vereinzelten Befürchtungen sollten sich nur allzu schnell bestätigen: Bereits in Eisenach wurden die Offiziere von Angehörigen der sowjetischen Kontrollorgane aus den Zügen geholt und nach Erfurt in kurzfristig eingerichtete Lager gebracht, die sich zumeist auf den Flächen von ehemaligen Großbetrieben befanden. Dort mußten die Betreffenden Entlassungspapiere mit dem Hinweis aushändigen, daß diese zunächst von der sowjetischen Kommandantur in Berlin-Karlshorst geprüft und abgestempelt werden müßten. Dieser Vorgang werde nur eine bis höchstens zwei Wochen dauern, danach sei umgehend die Weiterfahrt zu den Familien möglich. Das war eine vorsätzliche Lüge, wie sich schnell herausstellen sollte. Die Offiziere wurden in diesem Glauben gelassen, auch weil in Erfurt noch keine ausreichenden Kontrollen existierten, eine Flucht von dort in die Westzonen daher relativ unproblematisch gewesen wäre. Die von den Amerikanern ausgestellten Papiere sollte kein Offizier jemals wiedersehen.

Insgesamt 6.000 deutsche Offiziere in Sachsenhausen

Am 23. Januar 1946 wurden bereits die ersten 26 Offiziere aus Erfurt mit dem Zug in das ehemalige Konzentrations- und nunmehrige sowjetische Speziallager Sachsenhausen gebracht. Von diesem ersten Transport gelang immerhin noch sieben Personen in Berlin die Flucht. 19 Offiziere kamen in Sachsenhausen an. Innerhalb weniger Tage erfolgten weitere Transporte, so daß sich bereits Ende Februar 1946 über 2.500 Offiziere im Lager befanden.

Damit reichten die Kapazitäten längst nicht mehr aus. Der Bau von Zusatzbaracken war notwendig, den die Häftlinge während der Nachtstunden ausführen mußten. Am 7. Juli 1946 traf der letzte Transport aus Erfurt in Sachsenhausen ein. Die Gesamtzahl der nun dort befindlichen Offiziere betrug damit insgesamt etwa 6.000. Die meisten von ihnen waren noch sehr jung, hatten oftmals erst während des Krieges ihre Ausbildung erhalten. Die überwiegende Zahl nahm daher niedrige Rangstufen ein. Ein Drittel aller gefangenen Offiziere waren Leutnants, 14 Prozent Oberstleutnants und 19 Prozent Hauptleute. Nur sechs Prozent von ihnen wiesen den Majorsrang auf.

Über das Leben der gefangenen Offiziere in Sachsenhausen existiert nur sehr wenig Material: Im Gegensatz zum Konzentrationslager gibt es keine Fotos vom Speziallager. Nur wenige Zeichnungen wie von Günter Sack - deren Anfertigung grundsätzlich streng verboten war - ermöglichen heute ein ungefähres Bild von den Bedingungen im Lager und den Wachmannschaften. Wegen der vorherigen Gefangenschaft in US-Gewahrsam trugen die meisten Offiziere amerikanische Offizierskleidung. Sie waren strikt von den zahlreichen Zivilgefangenen, die sich ebenso in Sachsenhausen befanden, getrennt in der sogenannten "Zone 2" untergebracht. Einzig die Behandlung von Kranken erfolgte im Lazarett in "Zone 1", die Entlausungen und das seltene Baden sowie der Essenstransport.

Die Gesundheitssituation der meisten Offiziere war äußerst kritisch und unterschied sich kaum von derjenigen der Zivilgefangenen. Bei einer flüchtigen ärztlichen Untersuchung wurden von 4.488 Personen 2.763 als krank eingestuft. Am 26. Mai 1946 wurden von 5.029 Offizieren nur 470 als gesund und 1.162 als nur mit geringen Krankheitssymptomen behaftet eingestuft. Nahezu zwei Drittel aller untersuchten Offiziere (3.379) waren nicht arbeitsfähig Doch auch die Kranken und Invaliden waren zur "Schonarbeit" verpflichtet. So verwundern die hohen Sterberaten nicht, die bei geschätzten 20 bis 25 Prozent der Belegschaft liegen.

Damit war der Leidensweg der Betroffenen noch lange nicht vorüber. Am 20. Juni 1946 erfolgte der erste Transport mit 1.627 Offizieren aus Sachsenhausen nach Frankfurt/Oder, der vier Tage dauerte. Am 17. Juli folgte die Überstellung weiterer 1.761 Offiziere auf gleiche Weise. Von diesen Transporten gelangten die meisten Häftlinge nach weiteren Fahrten in das sowjetische Straflagersystem. Nur wenigen blieb dieses Schicksal erspart: Knapp einhundert Entlassungen von Wehrmachtsoffizieren gab es in Sachsenhausen im August 1946, 500 Entlassungen bis November 1946. Am 27. Dezember 1946 wurden in Sachsenhausen noch 134 Offiziere gezählt.


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