© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Nur ein Soldat Christi
"Streitfall Galen" - Anfragen, Kontroversen und Antworten / Eine Tagung im Kardinal-von-Galen-Haus in Cloppenburg
Dirk Bullack

Aus Anlaß des sechzigsten Todestages von Clemens August Kardinal von Galen fand am 10. und 11. März im oldenburgischen Cloppenburg eine Tagung unter der Schirmherrschaft der Hochschule Vechta statt. Während dieser Tagung sollten auf der Grundlage von neu erschlossenen Quellen wissenschaftlich fundierte Antworten auf die Frage nach Wirkung und Bedeutung des Kardinals gefunden werden.

Insgesamt zwölf Referenten beleuchteten das Leben des Grafen von Galen aus verschiedenen Perspektiven und versuchten das öffentliche Bild dieser Persönlichkeit, das noch immer von Klischeevorstellungen, Fehldeutungen und Vorurteilen behaftet ist, zu korrigieren. Dabei entstand nicht nur ein detailliertes Bild des ehemaligen Münsteraner Bischofs, sondern es wurde auch das berufliche und familiäre Umfeld dieser in einigen Darstellungen als "umstrittene" dargestellten Person beschrieben. Gerade im Rahmen seiner Seligsprechung im Jahre 2005 geriet der am 22. März 1946 in Münster verstorbene Clemens August von Galen immer wieder in den Fokus diverser Kritiker, die auf Grundlage von falschen Interpretationen und schlecht recherchierten Quellen ein eher zweifelhaftes Bild entwarfen und auch immer noch entwerfen.

Martialisches "England-Zitat" nur in den Mund geschoben

Die Anwürfe gipfelten am 7. Oktober 2005 in einem Aufsatz mit dem Titel "Ein Antisemit und Kriegsfreund" der notorischen "Kirchenkritikerin" Uta Ranke-Heinemann in der linken Jungen Welt, der in seiner Grundaussage von verschiedenen kommunistischen Blättern unreflektiert und -geprüft übernommen wurde. Auch der deutsche Ableger der internationalen Friedensbewegung Pax Christi aus Rottenburg-Stuttgart veröffentlichte am 14. Februar 2005 auf angeblichen "Vergehen" beruhende distanzierende Wertungen über Clemens August von Galen, die bei einer quellenkritischen Betrachtung als historisch unhaltbar erscheinen.

Gerade bei einer Betrachtung vor dem Hintergrund neu gefundener und ausgewerteter Quellen erscheint die Figur von Galen eben nicht als der oftmals verrufene Kriegshetzer und Dulder der Judenverfolgung. Laut Joachim Kuropka (Hochschule Vechta) lasse sich anhand von Aussagen diverser Zeitzeugen eine grundsätzlich positive Einstellung von Galens zu den durch das nationalsozialistische Regime verfolgten Juden konstatieren. Daß diese Einstellung und damit verbundene Hilfestellungen nicht in entsprechenden Akten explizit festgehalten wurden, liege vor dem Hintergrund eines totalitär anmutenden Systems in der Natur der Sache. Dennoch stellten zum Beispiel die drei bekannten Predigten aus dem Jahre 1941 ein sehr gutes Zeugnis für die offene Brandmarkung des Regimes durch Clemens August von Galen dar.

Wenn sie auch zu keiner längerfristigen Verhinderung der Krankenmorde durch das nationalsozialistische Regime führten, stellten sie doch zumindest eine Gefährdung des Regierungsfundamentes in den katholisch dominierten Gegenden dar - eine Tatsache, die oftmals von Galen-Kritikern vernachlässigt wird. Auch von Galens prinzipielle Haltung zum Krieg stelle sich wesentlich anders dar als von seinen Kritikern behauptet. Zwar lasse sich hier ein ambivalentes Verhältnis feststellen, dieses werde jedoch oftmals durch einseitiges Auslegen der Quellen falsch interpretiert.

Als strengem Katholiken erschien von Galen eine offene Revolution oder ein Erheben gegen die übergeordnete Staatsgewalt sicherlich als nicht angebracht. Jedoch sah er zum Beispiel in dem Krieg gegen die Sowjetunion nicht den Zweck der Vernichtung des Gegners, sondern einzig und allein die Verteidigung des Vaterlandes und Wiederherstellung des Friedens für alle Völker der Erde.

Hier ist sicherlich das sogenannte "England-Zitat" von Galens aus dem Jahre 1941 anzuführen, das von diversen Linkskatholiken, Atheisten, Kommunisten und Pazifisten oftmals zur Erstellung eines entsprechenden Galen-Bildes herangezogen wird. Angeblich habe er gesagt: "Gott hat es zugelassen, daß das Vergeltungsschwert gegen England in unsere Hände gelegt wurde. Wir sind die Vollzieher seines gerechten Willens."

Anhand dieses Zitates legte von Rudolf Willenborg (Vechta) im Rahmen der Tagung sehr gut dar, inwiefern mit dem unkritischen Fortschreiben einer angeblichen Quelle ein vollkommen falsches Bild einer historischen Figur entstehen kann. Willenborg stellte nach einer quellenkritischen Beschäftigung mit dieser Passage fest, daß diese Worte keinesfalls aus dem Munde des Grafen von Galen stammten. Es handele sich vielmehr um zusammengesetzte Textpassagen aus einer Erzählung aus dem Jahre 1941 von Willi Lindner mit dem Titel "Die Gerechtigkeit im Kriege", in der sich drei fiktive Personen über den Krieg gegen England unterhalten.

Soweit Willenborg nachverfolgen konnte, stellte daraus der linkskatholische Publizist und entschiedene Pazifist Johannes Fleischer erstmals im Jahre 1956 ein vermeintliches Galen-Zitat zusammen. Als Beispiel dafür, daß wissenschaftlich zweifelhafte Grundlagen zur Beurteilung von Galens herangezogen, ihm gar Worte in den Mund gelegt würden, er habe den Krieg gutgeheißen oder bejubelt, diene diese Fälschung aber exemplarisch. An dem "Streitfall Galen" werde deutlich, daß außerwissenschaftliche Motive oftmals Lücken füllen und moralische Beurteilungen leider viel zu häufig angebrachte, wissenschaftliche Kritik ersetze.

Quellenkritik gegen Zeitgeist bewahrt Galen-Bild

Dieser Umstand mache aber deutlich, und daß die "Frage von Galen" nicht nur eine historische, sondern auch stets eine psychologische sei und bleiben werde - dieses etwas resignative Fazit fand auf der Tagung Konsens. Dagegen sollte auch fortan immer ad fontes gegangen und das historische Phänomen aus dem Kontext der betreffenden Zeit heraus beurteilt werden, war man sich einig.

Dieser quellenkritische Ansatz könnte der Person des Kardinals von Galen nichts von seiner persönlichen Größe nehmen. Clemens August Kardinal von Galen, der "Löwe von Münster": kein Antisemit, kein Militarist, nur ein Soldat Christi.

Foto: Bischof von Galen auf dem Domplatz in Münster (undatiert): Stets auch eine psychologische Frage


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