© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Auf der Schleimspur der Political Correctness
Der ZDF-Fernsehfilm "Dresden" offenbarte viele Fehler und Schwächen, besonders in der historischen Einordnung des Bombenkrieges
Horst Boog

Wohl kaum ein Film ist so einmütig in den deutschen Feuilletons verrissen worden wie die dreistündige, etwas kitschige Liebesgeschichte "Dresden", die vor zwei Wochen im ZDF dargeboten wurde und einen Einblick in die Geschehnisse vor dem Bombenangriff vom 13. und 14. Februar 1945 auf die Elbestadt bieten wollte bzw. in einer halbstündigen Sequenz direkt den Angriff thematisierte. Die Kritik an der Dramaturgie soll hier nicht weiter Gegenstand sein. Aber auch die Präsentation der Fakten bietet allerlei Anlaß zur wissenschaftlichen Kritik. Inwieweit die wissenschaftliche Berater des Filmes überhaupt Gelegenheit zur Beratung hatten, bleibt dahingestellt.

Was den Luft- und Bombenkrieg anbelangt, so gibt es nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt nur wenige Historiker, die hier Experten sind. Einer dieser wenigen, die sich ihre Kenntnisse und Erkenntnisse über den Bombenkrieg durch eigene Forschung selbst erarbeitet haben, ist Richard Overy vom King's College London, der sich unlängst nicht gescheut hat, die auch für Engländer nicht schmeichelhafte Wahrheit auszusprechen, daß der Bombenkrieg barbarisch war, wenn auch nicht ohne Sinn. Der wichtigste unter einigen deutschen Experten über die Bombardierung Dresdens, der auch das grundlegende Standardwerk dazu geschrieben hat, nämlich Götz Bergander, ist offenbar als wissenschaftlicher Berater von den Filmemachern des Dresden-Streifens überhaupt nicht hinzugezogen worden.

Unrealistische Szenarien, historische Absurditäten

Man kann - und ich kann es aus eigenem Erleben - zustimmen, daß der Film "Dresden", was die Darstellung dessen betrifft, was die Menschen unter den Bomben erlebt haben, um Authen-tizität bemüht war und teilweise gezeigt hat, wie es wirklich war: der Sauerstoffmangel in den Kellern, der wahrscheinlich den meisten Opfern den Tod brachte, weil der Feuersturm den Sauerstoff in die Höhe riß und verbrauchte; das gefährliche Kohlenoxyd, das den schleichenden Tod verursachte; die Mauerdurchbrüche, die Leben retten sollten, die aber manchmal den Tod durch Feuer herbeiholten, wenn man sie öffnete; der wenn auch nur angedeutete Feuersturm, der die Menschen in den Tod saugte; das verzweifelte, ziellose Hin- und Her- Rennen der zum Teil in den Wahnsinn getriebenen Frauen.

Es war auch richtig, die verbrannten Leichen in ihrer vollen Größe zu zeigen, wird doch zuweilen behauptet, sie seien ohne Rückstände zu nicht mehr identifizierbarer Asche verbrannt oder auf Baby-Größe zusammengeschrumpft. Selbst unter Krematoriumsbedingungen, die nicht über die ganze Brandfläche hinweg herrschten, gibt es nicht ganz verbrannte Knochenreste. Man kann nachempfinden, was die beiden Filmproduzenten in der FAZ vom 4. März schrieben, nämlich wie schwierig und nervenzehrend es war, diese realistische Szenen zu erstellen. Den Tatsachen entsprach auch die taktisch-operative Darstellung des britischen Bombenangriffs als Doppelschlag, wie er üblich war, um mit dem zweiten Angriff die Löscharbeiten zu verhindern, und der Verzicht auf die Tieffliegerstory.

Natürlich gibt es auch manch Kritisches zu dem Film zu vermerken. Fangen wir mit dem Einfachen an. Da waren einige unwahrscheinliche und manchmal auch absurde Bilder und Szenen. Sollte der Flaggenschmuck entlang der Elbbrücke noch von der letzten Feier zu Hitlers Machtübernahme am 30. Januar (1933) dort vergessen worden sein? Hasteten die Flüchtlinge wirklich in Massen mit ihren überladenen Handwagen und Kind und Kegel wild durch die Stadt oder wurden sie nicht etwa dem immer noch funktionierenden deutschen Organisationstalent entsprechend geordnet durch die Stadt geschleust? Wie gelangte der abgeschossene britische Bomberpilot mit seiner Bauchschußwunde in vier Wochen von Magdeburg ausgerechnet nach Dresden? Wäre die Flucht nach Westen nicht ratsamer gewesen, waren doch die Spannungen zwischen den Westalliierten und den Sowjets bekanntermaßen schon sehr groß? Konnte ein Brite in deutscher Uniform unentdeckt an einer herrschaftlichen Verlobung teilnehmen und nach seiner Entdeckung einfach nur so entwischen? Konnte die Feldpolizei der Wehrmacht Menschen, dazu noch eine Frau in Schwesternkleidung einfach zum standrechtlichen Erschießen an die Wand stellen? Konnte sich ein Engländer, der mit den deutschen Verwundeten nicht sprach, wohl um sich nicht zu verraten, tagelang im Krankenhaus behandelt werden, ohne aufzufallen? Ebenso absurd war die - allerdings recht harmlos geratene - Bettszene im vollbesetzten Krankensaal.

Weitaus schwerer wiegt die einseitige Einordnung des Bombenangriffs auf Dresden in den historischen Zusammenhang, wo die wissenschaftlichen Berater eigentlich hätten einhaken müssen. So beginnt der Film mit Hitlers Ankündigung vom 4. September 1940, er werde die englischen Städte "ausradieren" lassen. Dem Zuschauer wird damit subkutan der Eindruck vermittelt, Hitler, das heißt die Deutschen selbst seien schuld am Bombenkrieg und ernten nun, was sie gesät haben. Sicher ist Hitler die Schuld am Kriege nicht abzusprechen. Aber dies gehört in den völkerrechtlichen Bereich des ius ad bellum, nicht wie Dresden des ius in bello. Tatsächlich begannen die Engländer schon am 15./16. Mai 1940 mit dem strategischen Bombenkrieg gegen Deutschland, um die deutsche Luftwaffe von der Westfront abzulenken und den deutschen Vormarsch zum Ärmelkanal zu stoppen. Die Luftwaffe war damals noch in Frankreich engagiert. Daß sich die Luftwaffe bis zum Abbruch der Luftschlacht um England im Mai 1941 bemüht habe, in England vor allem militärisch relevante Ziele anzugreifen, wird sogar von der amtlichen englischen Geschichtsschreibung (Collier, Defence of the United Kingdom, London 1957) bestätigt. Und der brititsche Völkerrechtsexperte im Air Ministry, Spaight, schrieb schon 1944, die Engländer hätten mit dem Bombenkrieg begonnen. Hitlers haßerfüllte Propagandarede vom 4. September muß daher ergänzt werden durch die Anweisung, die er zehn Tage später seinem Luftwaffengeneralstabschef Hans Jeschonnek gab, nämlich jetzt noch keine Terrorbombardements gegen Wohnviertel durchzuführen, sondern militärisch-wirtschaftliche Ziele zu bekämpfen (KTB OKW, Bd. I). Das tat er nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus Opportunismus, da er wußte, er würde demnächst Rußland angreifen. Solange er im Osten gebunden war und nicht zurückschlagen konnte, sollte England nicht durch Terrorkrieg provoziert werden.

Eine weitere Entstellung des historischen Sachverhaltes findet sich in den Film-Aussagen des Befehlshabers des Bomber Command, Arthur Harris, zur Begründung des Bombardements der Stadt Dresden. Er sagte dort, Dresden sei voller deutscher Truppen, es sei eine wichtige Industriestadt und Nachschubbasis zur Ostfront. Die Nachschubwege dorthin müßten unterbrochen werden, um den Russen zu helfen. Beim Briefing der Bomberbesatzungen wurde auch darauf hingewiesen, daß man den Sowjets mit diesem Angriff zeigen wolle, was die Westalliierten zur Luft vermöchten (zu Lande fühlten sie sich ja schwächer). Auch dies ein Indikator des gespannten Verhältnisses zwischen den "seltsamen Verbündeten".

Ziel der Briten war es, ein Pandemonium anzurichten

Nun, Harris war tatsächlich ehrlicher, als er es in seiner Position sein durfte, und drängte seine Vorgesetzten wiederholt, offen zu sagen, daß man mit den Städteangriffen vor allem auch das Töten von Zivilisten und Rüstungsarbeitern in ihren Betten bezweckte. Davon, daß der Angriff auf Dresden ein Glied des nach Beginn des deutschen V-Waffen-Beschusses gefaßten Planes "Thunderclap" war, der in Dresden unter der Zivilbevölkerung und besonders unter den dort zahlreich angekommenen Flüchtlingen aus Ost und West ein Chaos oder Pandemonium, wie es in den militärischen Originaldokumenten heißt, anrichten und damit den Deutschen klarmachen sollte, daß sie den Krieg verloren geben sollten, wird im Film nichts erwähnt. Unerwähnt bleiben ebenfalls die Worte eines Offiziers beim Briefing vor dem Angriff: "Sie haben sich zur Air Force gemeldet, um Deutsche zu töten. Genau das werden Sie heute nacht tun." Und ein Teilnehmer schrieb später, es sollte eine Nacht des Abschlachtens von Zivilisten werden.

Es gab entgegen der diesbezüglichen Bemerkung der Filmemacher in der FAZ keine moralische Diskussion im Film. Oder sollte die Einlassung des Stellvertreters von Harris diesem gegenüber, ob es nicht besser sei, Hydrierwerke statt Städte anzugreifen, eine moralische Diskussion sein? Natürlich spielte sich im Winter 1944/45 eine solche Kontroverse zwischen Harris und seinem Vorgesetzten Sir Charles Portal ab, aber nicht aus moralischen Gründen, sondern aus solchen militärischer Zweckmäßigkeit. Diskussionen dieser Art über Waffenehre und die Moral des Bombenkrieges spielten sich eher in den höheren Stäben der amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa ab. Diese beiden Punkte, die "Schuld" am Beginn des strategischen Bombenkrieges und die mit dem Bombardement Dresdens auch und vor allem verbundene Absicht nicht ausgewogen beleuchtet zu haben, sind die Hauptdefizite des Films.

Dresden wird oft mit Coventry gleichgestellt. Wenn Coventry in der Kriegspropaganda und vor allem in den deutschen Nachkriegsmedien auch immer zur Rechtfertigung der britischen und teilweise auch amerikanischen Städteangriffe herhalten mußte, so lassen sich Dresden und Coventry - außer in einigen taktisch-technischen Einzelheiten - nicht nebeneinander auf die gleiche Stufe stellen. Coventry war selbst nach maßgeblicher englischer Auffassung (Kanonikus Paul Oestreicher an der Kathedrale von Coventry, Historiker Norman Longmate, Flugzeugbauminister Lord Beaverbrook u.a.m.) als britisches Rüstungszentrum ein legitimes Bombenziel, und die Rüstungs- und Motorenwerke seien sehr genau getroffen worden. Wegen der Gemengelage von Wohnvierteln und Fabriken wurden leider auch viele nichtmilitärische, zivile Objekte zerstört, darunter die Kathedrale. War Coventry somit ein - zwar unter den obwaltenden Umständen nicht gelungener - gezielter Selektra-Angriff auf militärisch relevante Objekte, so war Dresden ein bewußter Terrorangriff auf die Zivilbevölkerung mit der vorgeschobenen Begründung, man habe Militär und Industrie treffen wollen. Gewiß wurden einige Fabriken im Stadtinneren zerstört. Aber dies war bei dem Charakter des Bombardements als Flächenangriff eher Zufall. Die größten und wichtigsten Fabriken lagen am Stadtrand, wie auch die Kasernen, die beide nicht Zielobjekte waren.

Eine Bestätigung des unterschiedslosen Charakters der britischen Städteangriffe, die natürlich nebenbei auch immer wieder militärisch Relevantes trafen, lieferte Winston Churchill selbst in seinem Schreiben an den Air Staff vom 28. März 1945, wo er das Bomber Command angesichts der öffentlichen Proteste wegen der Bombardements von Berlin am 3. und Dresden am 13./14. Februar 1945 anwies, aufzuhören mit den Bombardements "nur zur Verstärkung des Terrors, wenngleich unter anderen Vorwänden".

Geschichtsaufarbeitung sollte so ausgewogen und voll wahrheitsgetreu sein wie nur irgend möglich und so frei wie möglich von ideologischen oder sonstigen Voreingenommenheiten. Dieses Ziel erreicht der Fernsehfilm des Zweiten Programms über den Bombenangriff auf Dresden nicht. Die Wahrheit ist, daß alle maßgeblichen Luftmächte schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg Erwägungen über den nachhaltigsten Gebrauch der neuen Bomberwaffe in einem Krieg anstellten. Dabei dachte man auch an Angriffe auf die Zivilbevölkerung zur Paralysierung ihrer Moral, das heißt ihres Willens, sich für die Kriegsanstrenungen ihres jeweiligen Landes voll einzusetzen, um so durch die Zerstörung dieser Moral und der Kraftzentren im Hinterland einen Krieg blutsparender, als es der Grabenkrieg des Ersten Weltkrieges gewesen war, durch Umfassung aus der dritten Dimension zu gewinnen. In der deutschen Doktrin sollten Angriffe auf die Zivilbevölkerung nur als Vergeltung/Repressalie nach völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen eines Gegners erlaubt sein, also nicht als Regel. Bei den Briten mit ihrer Praxis der Befriedung aufständischer Stämme in den Mandatsgebiten der Zwischenkriegszeit durch Bomben nahm das "morale bombing" die erste Stelle im Zielkatalog ihrer Doktrin ein und umfaßte auch die arbeitende Bevölkerung als Regelziel.

Bombenterrorkrieg war der kleinste gemeinsame Nenner

Die Amerikaner sahen unterschiedslose Bombenangriffe nur für den Fall vor, daß ein Feind schon nahe des Zusammenbruchs war, um diesen zu beschleunigen und den Krieg abzukürzen. Aber auch für die Briten und die anderen Luftmächte galt zu Kriegsbeginn im strategischen Bombenkrieg aus humanitären und opportunistischen Gründen Zurückhaltung gegenüber der Zivilbevölkerung. Keiner wollte als erster die Handschuhe ausziehen.

Je länger jedoch der Krieg dauerte und je mehr er den Charakter einer ideologischen Auseinandersetzung annahm, desto erbitterter wurde der Bombenkrieg und desto tiefer sank bei den wichtigen Luftmächten auch aus taktisch-technischen Gründen die Schwelle zur Inhumanität, bis sich alle schließlich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner trafen - dem Terrorbombenkrieg. Die Royal Air Force begann damit als Regel mit der Direktive vom 14. Februar 1942 und mit dem Ausbrennen von Lübeck und Rostock. Hiter folgte mit den "Baedeker-Angriffen" gegen kaum verteidigte historische englische Städte 1942 und mit dem V-Waffen-Beschuß 1944. Die US-Air Force rutschte seit dem Winter 1943/44 allmählich aber bewußt in diese Art Bombenkrieg mit ihren sehr ungenauen Radar (H2X)-Angriffen durch Wolkendeckung hinein. Am Ende stand bei ihnen Tokio im Mai und Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Um einen unterschiedslosen Abnutzungskrieg durchzuhalten, fehlte dem Deutschen Reich zum Leidwesen der dortigen Zivilbevölkerung allerdings auch die Mittel.

Sollte der Film trotz seiner Fehler die glücklicherweise schon weit fortgeschrittene Versöhnung zwischen den Völkern noch weiter befördern helfen, um so besser. Professionelle Historiker sollten aber aufpassen, daß sie nicht zum Zwecke der Vermarktung von Fernsehprodukten auf die Schleimspur der political correctness heruntergezogen werden.

 

Dr. Horst Boog, ehemaliger leitender wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg, ist Herausgeber der Bände "Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich" (1992).

Foto: Flucht in die Luftschutzkeller, Filmszene aus "Dresden": Standrechtlich erschossen in Schwesternkleidung


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