© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch
Berlin: Provisorische Gefängnisse des sowjetischen Geheimdienstes / Bund der Stalinistisch Verfolgten stellt Studie vor
Werner Becker

Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Durchsetzung einer grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltung nach sowjetischen Vorbild in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 lag in der Erzeugung eines gesellschaftlichen Klimas durch die Besatzungsmacht, in dem Angst und Einschüchterung zur alltäglich erlebten Realität gehörten. Zu diesem Fazit gelangte der Historiker Hubertus Knabe in seinem Buch "Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland", das im vergangenen Jahr für einige Schlagzeilen sorgte.

Ein Mittel auf diesem Wege waren Massenverhaftungen von Zivilpersonen, die zunächst formal auf den gemeinsamen Vereinbarungen der Alliierten zur Entnazifizierung beruhten, jedoch bald deutliche Züge einer zielgerichteten Sowjetisierung Mitteldeutschlands offenbarten. Erste Verhaftungs-, Verhör- und Gewahrsamsorte waren im Regelfall provisorisch eingerichtete Kellergefängnisse, für die sich im Volksmund rasch der Begriff "GPU-Keller" - eine damals gebräuchliche Abkürzung für den sowjetischen Geheimdienst - einbürgerte.

Forschung steckt in den Kinderschuhen

Bislang ist über diese Haftstätten nur sehr wenig bekannt. Im Gegensatz zur mittlerweile gut aufgearbeiteten Geschichte der sowjetischen Speziallager, etwa in Sachsenhausen oder Buchenwald (siehe Seite 21) - steckt die wissenschaftliche Forschung zu diesem Komplex noch in den Kinderschuhen.

Um etwas mehr Licht in dieses Dunkel zu bringen, hatte der Berlin-Brandenburgische Landesverband des Bundes der Stalinistisch Verfolgten (BSV) bei der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur ein Projekt beantragt, in dessen Mittelpunkt die Erforschung der ehemaligen GPU-Keller im Berliner Stadtgebiet stehen sollte.

In einem dieser ehemaligen Haftorte, dem sogenannten "Magnus-Haus" in Berlin-Mitte, konnte der BSV jetzt gemeinsam mit der Stiftung Hohenschönhausen erste Untersuchungsergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei berichteten drei ehemalige "Kellerinsassen" aus erster Hand von ihren Erlebnissen während ihrer Haft in dem provisorischen Gefängnis. Ihre Befragung stand neben der Vorstellung der Broschüre, in der die Forschungsergebnisse zusammengefaßt sind, durch den Historiker Peter Erler im Mittelpunkt der Veranstaltung, die ein lange Zeit wenig beachtetes Kapitel der Kommunistischen Herrschaft in Deutschland näher beleuchtete.

Nach neuesten Schätzungen wurden auf dem Gebiet der SBZ und späteren DDR zwischen Kriegsende und dem Beginn der fünfziger Jahre von sowjetischen Geheimdienst- und Sicherheitsorganen rund 200.000 Zivilpersonen eingekerkert und interniert. Innerhalb weniger Tage nach der militärischen Einnahme der deutschen Hauptstadt schufen diese Dienste ein Netz von Haftorten, welches vor der Besatzung durch die Westalliierten zunächst auch die Bezirke im späteren West-Berlin umfaßte. Generell wurden die GPU-Keller sowohl in ehemaligen öffentlichen Gebäuden, Kasernen wie in beschlagnahmten Privatobjekten eingerichtet. Wichtig für die Auswahl war, daß die Objekte gut bewacht werden konnten und von außen schwer einzusehen waren. Bei Wohnhäusern wurde daher eine dezentrale Lage bei gleichzeitiger guter Erreichbarkeit bevorzugt. Zudem wurde darauf geachtet, daß die Gebäude mit Zaun und Vorgarten ausgestattet waren. Villenviertel waren daher besonders begehrt. In diesen Gebäuden fand zunächst die Vernehmung der Zugeführten durch sowjetische Offiziere statt. Die Verhafteten wurden dabei keineswegs konkreter Delikte bezichtigt, sondern - wie in der Sowjetunion und anderen von ihr besetzten Staaten - vielmehr allgemein aufgefordert, zu "erzählen" und zu "gestehen". Ziel der Vernehmung war es, ein Schuldbekenntnis zu erhalten, welches dann als Grundlage für die anschließende Einweisung in ein Speziallager bzw. die Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal diente. Der konkrete Inhalt dieses Geständnisses was dagegen eher nebensächlich. Da die Protokolle nur in russischer Sprache abgefaßt wurden, wußte der Inhaftierte im Regelfall ohnehin nicht, was er unterzeichnen mußte.

Brutalste Gewalt war die Regel

Da die meisten Verhafteten keine Erklärung für ihre Festnahme fanden und sich selbst nicht als "schuldig" einstuften, war die Anwendung brutalster physischer und psychischer Gewalt die Regel. Nach der direkten körperlichen Folter, die bereits in diesem Stadium häufig Todesopfer forderte, fanden sich die Gefangenen in Kellerlöchern auf engstem Raum ohne jede Möglichkeit zur Körperpflege und zur Behandlung von erlittenen Verletzungen wieder. Zudem wurden viele Verhaftete von Keller zu Keller verschleppt. Sie wußten weder, an welchem Ort sie sich befanden, noch war eine Information von Angehörigen über die Verhaftung möglich.

Der Verbleib in den Haftkellern schwankte zwischen wenigen Tagen, einigen Wochen und mehreren Monaten. Danach wurden die meisten Insassen in die sowjetischen Speziallager gebracht, in denen infolge von Hunger und Seuchen sehr viele starben. Ein Teil wurde von Militärtribunalen verurteilt und anschließend in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit gebracht. Nur ein kleiner Teil wurde aus den Kellern direkt nach Hause entlassen. Doch auch für sie war der Leidensweg damit noch längst nicht beendet; keineswegs nur deshalb, weil die Gefahr erneuter Verhaftungen bestand. Die Unterzeichnung einer anscheinend harmlosen Schweigeerklärung in russisch über das Geschehene konnte sich später als eine Verpflichtungserklärung herausstellen, die anschließend nicht nur den sowjetischen Organen, sondern später auch dem DDR-Staatssicherheitsdienst Material zur zielgerichteten Erpressung bot. Vielen half daher nur die Flucht aus ihrer Heimat nach Westdeutschland.

Ein großer Teil der Insassen der GPU-Keller wie auch der Speziallager war nach heutigen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten im Sinne einer Anklage unschuldig. Nur in wenigen Fällen war tatsächlich die Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen die Grundlage der Verhaftung gewesen, sondern Denunziationen - häufig von einstigen NS-Belasteten und Mitläufern, die sich den neuen Verhältnissen möglichst rasch anpassen wollten - und harmlose Angaben von anderen Verhafteten, etwa über ihren Bekanntenkreis. Zudem kamen nach den ersten Kriegsmonaten viele Verhaftete aus den Kreisen, von denen man Widerstand gegen die Errichtung einer erneuten Diktatur auf deutschem Boden erwartete, beispielsweise Gegnern der Zwangsvereinigung zwischen KPD und SPD sowie Mitgliedern der bürgerlich-demokratischen Parteien.


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