© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Die Schraube überdreht
Die Polemik des "Lehrerhasserbuches" wird durch die Auslassung jeder Kritik am Elternhaus unglaubwürdig
Ellen Kositza

Eine scharfe Polemik, ruhig gepfeffert und leicht überdosiert, kann manchmal gar nicht schaden. Solch bewaffnetes Wort vermag einen Finger in die Wunde zu legen, dort, wo sie schmerzt und ein Wehgeschrei auszulösen, das endlich Gehör findet. Zumindest, gutdemokratisch: eine Debatte auszulösen, die sich, sind die Wogen einmal geglättet, einem sachlichen Kern widmet.

Lotte Kühn ist dies nicht gelungen, sie hat mit ihrem "Lehrerhasserbuch" den Bogen überspannt. Freilich, spätestens seitdem das Pseudonym "Kühn" enttarnt ist und sein reales Alias Gerlinde Unverzagt Woche für Woche durch Talkshows tingelt, kommt der Verlag mit dem Drucken kaum nach, ist der Skandal in aller Munde - um Inhalte dreht es sich dabei nur peripher oder jedenfalls im Grobschnitt. Das hat sich die Autorin in großem Maß selbst zu verdanken - wie man in den Wald ruft, so hallt es heraus.

Zur Sache: Eine vierfache alleinerziehende Mutter hat im Rahmen einer "Hasserreihe" (bislang: Post- und Bahnhasser) mittels einer wilden Streitschrift gegen Pädagogen im allgemeinen und die Lehrer ihrer eigenen Kinder im besonderen vom Leder gezogen. In Glossen portioniert und wöchentlich einer Zeitung eingegliedert, wäre dies vielleicht ein bravouröser Lesespaß gewesen, ein nachdenkenswerter obendrein. Kuschelpädagogik, "spielerisches Lernen" und Mandalamalen bis zur Verblödung, die Lehrerin, die aus Solidarität mit Schleifenbindungsgestörten Klettschuhe für die ganze Klasse anordnet, Blümchen statt Noten, jahrelanges "kreatives Schreiben" ohne orthographische Verbindlichkeiten: Klar, das alles gehört mal auf das Tapet gebracht. Vielerorts ist die Schule, zumal die Grundschule, zu einem ideologisch überformten Terrain geworden - zuungunsten der Schüler.

Kühn/Unverzagt versteht es bisweilen trefflich, aus dem Nähkästchen neosozialistischer Menschenversuche zu plaudern. Viele ihrer Vorwürfe gehören einfach längst in aller Deutlichkeit gesagt, und daß die betreffenden Lehrkörper hier "Frau Friedensreich-Bedürftig", "Rektorin Sonnestich" und "Frau Blütenzart" geheißen werden, ist kaum ein lästerliches Vorgehen zu nennen. Die besten Satiren schreibt noch das Leben selbst. Selbst der Vorwurf, daß der Lehrberuf "faule Säcke" herausbildet, muß sich der Prüfung im Einzelfall stellen: Vermutlich gibt es wenige Eltern, die in Anbetracht horrender Fehlzeiten des Personals solche Schmähworte nicht wenigstens in Gedanken führten. (Warum etwa werden Kniegelenksoperationen mit anschließender Reha grundsätzlich außerhalb der Ferien angesetzt?) Kurz, die Autorin spricht viel Wahres aus, und nicht einmal ihre verallgemeinernde Unausgewogenheit sollte man ihr zum Vorwurf machen. Eine Polemik ist eben eine Polemik und kein Vorschlag zur Güte.

Allein, Kühn/Unverzagt überdreht die Schraube, an der sie da hantiert: Die liebevolle Grundschullehrerin, die ihre Herzenswärme auch mal durch körperliche Zuwendung zum Ausdruck bringt, ist ihr sowenig recht wie der gestrenge Gymnasiallehrer. Spott hält sie für die zensurenlose Grundschule ebenso bereit, wie ihr das Arbeiten "unter Notendruck" Ärger bereitet. Spontane Lehrerausrufe - vor Gymnasialklassen - wie etwa "Willste mich vergackeiern", "Ihr macht mich wahnsinnig" oder "Das interessiert mich nicht, du störst" sind ihr eine lange Tadelliste wert. Während ausführlich ein despektierlicher Umgang von Lehrern gegenüber Schülern beklagt wird, zitiert die Autorin weiter hinten unbekümmert aus Unterhaltungen ihrer älteren Kinder. Da wird geäußert, es gebe "viel schlimmere Ärsche" als diesen einen Lehrer, der ja "auch scheiße aussieht" und eh "voll bescheuert" sei. Besonders lästig ist der Mutter, daß ihre Mithilfe nicht nur bei den immer noch ungenügenden Englischkenntnissen der Tochter erwartet wird, sondern Eltern obendrein noch kuchenbackend Weihnachtsfeiern und andere Schulfeste unterstützen sollen. Selbstverständlich trägt auch der Lehrer mit seiner unbedachten Äußerung - und nicht etwa eine vielleicht grundlegend mangelhafte Erziehung im Elternhaus - die Schuld, wenn sich die neunjährige (!) Tochter in der Stadt vor einem Würstchenverkäufer aufbaut und ihn frech fragt, ob er in der Schule wohl zu dumm zum Lernen gewesen sei. So schreit das Buch an manchen Stellen geradezu nach einer adäquaten Ergänzung aus Lehrersicht - einem "Elternhasserbuch".

Nun handelt es sich bei Unverzagt/Kühn keinesfalls um eine vielleicht geistig unterforderte "Mami", die, einmal in den Schreibrausch gekommen, Dampf abläßt, wie es Lehrerverbandpräsident Josef Kraus in seiner Gegen-Philippika in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung suggerierte. Unverzagt ist seit langem Vollblut-Publizistin, war und ist neben der Veröffentlichung von einem Dutzend seriöser Erziehungsratgeber als Journalistin für zahlreiche Druck- und Rundfunkmedien tätig. Eine von der Autorin selbst bewilligte Fotoaufnahme von hinten als Beigabe zu einem Interview führte zur Enthüllung des Pseudonyms. Daß die Unverzagt-Kinder sich in der Folge schulisch gemobbt fühlen, machte das Büchlein erst talkshowtauglich. Josef Kraus übrigens, so heißt es, soll bereits vor Veröffentlichung beim Knaur-Verlag gegen die Schmähschrift protestiert haben. Warum? Wichtiger wäre, nun zur Sache zu kommen.

 

Ellen Kositza arbeitete als Lehrerin und ist Mutter von fünf Kindern

Lotte Kühn: Das Lehrerhasserbuch. Eine Mutter rechnet ab. Knaur Verlag, München 2005, 219 Seiten, broschiert, 6,90 Euro


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