© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

"Welch Glück, daß er schon soviel geschrieben hatte"
Mozart-Gedenkjahr 2006: Die plötzliche Krankheit und das mysteriöse Ableben des Komponisten werfen noch immer Fragen auf
Wiebke Dethlefs

Zeit seines Lebens erfreute sich Mozart einer verhältnismäßig guten Gesundheit. Bis Mitte Oktober 1791, also etwa sechs Wochen vor seinem Tode, war er ein gesunder Mann, von dem nicht bekannt ist, daß ihn irgendwelche Krankheiten plagten.

Verläßliche Quellen über Mozarts letzte Wochen gibt es allerdings nicht. Zwar soll sich seit dem Sommer 1791, seit den Besuchen jenes berühmten "grauen Boten", der bei ihm ein Requiem bestellt hatte, sein Charakter immer mehr verdüstert haben, auch meinte er, die Totenmesse für sich selbst zu schreiben. Doch Symptome für eine medizinisch faßbare Todeskrankheit können das natürlich nicht sein.

Finanziell schien sich mit dem Herbst 1791 seine Situation zu verbessern: Die ungemein erfolgreiche "Zauberflöte" erfreute sich bereits der fünfzigsten Aufführung, eine Gruppe ungarischer Adliger plante, dem Komponisten mit einer lebenslangen Rente unbeschwertes Schöpfertum zu ermöglichen. Mit großer Zuversicht hatte er in die Zukunft blicken können.

Aber ab Anfang November änderte sich sein Gesundheitszustand. Wiederholt traten Ohnmachtsanfälle auf, die mit andauernder Gewichtsabnahme einherging, ohne daß dabei eindeutig eine Krankheitszuordnung möglich war. Am 15. November beendete er seine letzte vollendete Komposition, die "Kleine Freimaurer-Kantate" (KV 623), die er zwei Tage später anläßlich der Einweihung einer neuen Loge selbst uraufführte.

Er meinte, die Totenmesse für sich selber zu schreiben

Am 20. November mußte er sich zu Bett legen. Hände und Füße schwollen an, immer wieder plagten ihn Brechanfälle, Ödeme und wechselnde Fieberattacken, doch blieb er durchgängig bei Besinnung, wenn er auch kaum noch bewegungsfähig war. Denn er soll ja bis zum Abend des 4. Dezember am "Requiem" weitergearbeitet haben.

"Hitziges Frieselfieber" nannten die Ärzte Thomas Closset (Mozarts Hausarzt) und Matthias von Sallaba dieses Leiden, nachdem sie sich am 28. November am Krankenbett über den Zustand des Patienten berieten. Darunter verstand die Medizin des 18. Jahrhunderts das Auftreten von Fieber und Schüttelfrost, verbunden mit Hautausschlägen.

Constanze Mozarts zweiter Mann, der dänische Staatsrat Georg Nikolaus von Nissen, einer der ersten Mozart-Biographen (1828), der seine Informationen von Constanze aus erster Hand erhalten konnte, ist ein glaubwürdiger Chronist dieser letzten Tage. Aber der eigentliche Krankheitsverlauf dieses "Frieselfiebers" auf dem fünfzehntägigen Sterbelager ist nicht genau rekonstruierbar.

Am 3. Dezember wurde ein Aderlaß durchgeführt (der mit Gewißheit den Tod beschleunigte), am Abend des 4. traten bei dem Patienten hohes Fieber und unerträgliche Kopfschmerzen auf. Mozart soll zu seinem Schüler Süßmayr geäußert haben, daß es jetzt "keine Hilfe mehr und keine Hoffnung" gebe. Gegen 23 Uhr verlor er erstmals das Bewußtsein und vertauschte kurz vor ein Uhr, am frühen Morgen des fünften Dezember, das Leben mit dem Tode.

Es muß ungeklärt bleiben, ob der Tod Mozart medizinisch vorhersehbar gefällt hat oder ob ein konkreter Anlaß das vorzeitige Ableben bewirkt hat. Das ungewöhnliche Aussehen des Toten, dessen Körper noch weiter anzuschwellen begann, ließ alsbald Gerüchte eines Giftmordes aufkommen. Aber eine Sektion erfolgte nicht, denn die Leiche wurde bereits am darauffolgenden Tag abgeholt und in eine Kapelle des Stephansdoms gebracht, wo sie eingesegnet wurde, worauf am nächsten Tag die Beisetzung (mit ihren bekannten Umständen) erfolgte.

Hundertfünfzig Theorien über seine Todesursache

Auf die allzubekannte Version einer Vergiftung durch den "neidischen Konkurrenten" Antonio Salieri (die im übrigen erst 30 Jahre nach Mozarts Tode aufkam, wobei Salieri sich nachweislich zu keiner Zeit selbst der Tat bezichtigte) soll hier zunächst nicht weiter eingegangen sein. Hundertfünfzig Theorien über die Todesursache wurden seither aufgestellt, die plausibelste mag jene sein, die der Mainzer Arzt Dieter Kerner, der sich in einem zweibändigen Werk mit den "Krankheiten großer Musiker" (Erstauflage 1963) beschäftigte, Anfang der sechziger Jahre entwickelte. Für ihn sind die charakteristischen und nachgewiesenen Symptome von Mozarts Krankheit wie Kopfweh, Erbrechen, Schwindel, Gewichtsabnahme, Neurosen, Depression, Reizbarkeit und Unruhe unzweifelhafte Indikatoren einer chronischen Quecksilbervergiftung.

Da eine solche im Finalstadium einem akuten Nierenversagen gleicht, hatten zumindest jene nicht ganz Unrecht, die in der Ursache von Mozarts Tod eine Urämie erblickten - eine "echte" Urämie mußte aber ausgeschlossen werden, da Urämiker vor ihrem Tod wochen- bis monatelang arbeitsunfähig sind und tagelang vor dem Tode bewußtlos sind, was alles bei Mozart nicht zutraf. Außerdem benötigt eine solche Urämie ein vorausgehendes langjähriges Nieren-Siechtum - doch findet sich nirgendwo in Mozarts Biographie ein Anzeichen für irgendein Nierenleiden. In allen vermuteten Diagnosen (Hitziges Frieselfieber, Meningitis, Nierenversagen, Rheumatisches Fieber) steckt allerdings eine "markante Teilsymptomatik des chronischen Mercurialismus" (Dieter Kerner).

Kerner untersuchte weiterhin die Partitur der "Kleinen Freimaurerkantate". Er fand dort ein deutliches "Kleinerwerden der Schrift neben Koordinationsstörungen und erdbebenartigen Veränderungen des Duktus infolge eines Quecksilbertremors".

Kerner kommt zu dem Schluß, daß Mozart seit dem Sommer 1791 mit kleineren Mengen Quecksilber (genaugenommen mit Kalomel und Sublimat, den beiden Quecksilberchloriden Hg2Cl2 und HgCl2) intoxiert wurde, und im November die letale Dosis erhielt, nach der Beine und Arme anzuschwellen begannen. Erst vor kurzem wurde Kerners Hypothese bestätigt, nachdem man eine Haarlocke Mozarts, die in seinem Salzburger Geburtshaus ausgestellt ist, einer Analyse unterzogen hat und dabei stark erhöhte Quecksilbergehalte feststellen konnte.

Handelt es sich tatsächlich um einen Giftmord?

Doch gibt das immer noch keine Antwort auf die Frage, aus welchem Grund die Intoxikation erfolgt ist. Handelt es sich um einen wirklichen Giftmord, wie Kerner annimmt ? Wer und aus welchen Gründen auch immer dafür verantwortlich gewesen sein kann, soll in einer der nächsten Ausgaben behandelt sein.

Aber könnte Mozart auch ein bloßes Opfer schlechter Ärzte geworden sein, die mit Quecksilbersalzen, wie es seit Paracelsi Zeiten üblich war, venerische Leiden bei ihm zu kurieren versuchten? Zog sich der "Göttliche" eine Geschlechtskrankheit zu? Wurde er ein Opfer der "Franzosenkrankheit"?

Der erfahrene Arzt Kerner vermutete dies mit Sicherheit auch, doch wagte er in seinem Buch mit keinem Wort eine diesbezügliche Andeutung. Dem widerspricht allerdings, daß in der damaligen Zeit zumindest in Wien Quecksilber in der Medizin nur wenig Verwendung fand. Dennoch - von der Hand zu weisen ist diese These nicht.

Bekanntermaßen war Mozart erotischen Freuden (wie schon die Bäsle-Briefe deutlich werden lassen) nicht abgeneigt. Im Sommer 1791 war Ehefrau Constanze oft genug nicht in Wien, da sie sich mehrmals nach Baden zur Kur begeben hatte. Sollte ein flüchtiger Kontakt Mozarts mit einem "süßen Weaner Madl" oder einem Kammerkätzchen Auslöser einer Geschlechtskrankheit gewesen sein, an deren falscher Behandlung er letztendlich viel zu früh hat sterben müssen? Trotzdem: "Welch ein Glück, daß er schon soviel geschrieben hatte", wie Jean Sibelius einst lakonisch konstatierte.

Dieter Kerner: Große Musiker. Leben und Leiden. 5. Aufl, neu bearb. von Hans Schadewaldt. Schattauer, Stuttgart 1998

Foto: "Mozarts letzte Tage", Lithographie (um 1850): Die Ärzte diagnostizierten Hitziges Frieselfieber


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen