© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Glaubwürdigkeit
Karl Heinzen

Im Rahmen einer Razzia an einer Hauptschule im bayerischen Immenstadt hat die Polizei 200 Handys beschlagnahmt. Sie folgte damit einer Anregung des Direktors, dem von besorgten Eltern zugetragen worden war, daß sich immer mehr Jugendliche pornographische und gewaltverherrlichende Videos herunterlüden. Tatsächlich fanden die Ermittler auf 15 Handys strafbare Sequenzen in einer Bandbreite von Sodomie bis Nazipropaganda.

Noch ohne Polizei glaubt hingegen die Don-Bosco-Schule im nordrhein-westfälischen Erftstadt auskommen zu können. Sie untersagt den Jugendlichen, auf dem Schulhof Musik zu hören, die mit den Wertvorstellungen der Bildungseinrichtung nicht übereinstimmt, da sie beispielsweise Drogen oder Gewalt verherrlicht. Werden zum Beispiel Lieder des Berliner Rappers Sido bei stichprobenartigen Überprüfungen auf den MP3-Playern von Schülern festgestellt, müssen diese eine Beschlagnahme der Unterhaltungselektronik gewärtigen.

Solche Initiativen können jedoch, folgt man Christian Pfeiffer, dem Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, nur die berühmten Tropfen auf den heißen Stein sein. Vor allem mit Blick auf problematische Computerspiele regt er an, den Medienkonsum der Heranwachsenden von Rechts wegen einzuschränken. Wer wirksam gegen Gewaltspiele auf dem PC oder der Konsole vorgehen wolle, müsse den Jugendlichen einfach die Zeit zum Spielen nehmen. Ganztagsschulen seien dafür das geeignete Instrument.

Ohne Frage ist Pfeiffer zu attestieren, daß er die Diskussion versachlicht: Es geht bei Ganztagsschulen nicht so sehr um Bildung oder die Schaffung von Betreuungsangeboten, damit die Erziehungsberechtigten arbeiten gehen können. Im Vordergrund steht das Bemühen, Jugendliche aus sozialen Problemgruppen wieder für unsere Gesellschaft zu gewinnen. Fraglich erscheint allerdings, ob dies zu erreichen ist, indem man ihren Medienkonsum beschneidet. Wenn sie Fernsehen schauen, nehmen sie immerhin am öffentlichen Leben teil, und auch ihre Beschäftigung mit Computerspielen hält sie wenigstens davon ab, kriminelle Aktivitäten zu entfalten.

Zudem hilft man Heranwachsenden nicht, wenn man durch eine solide Ausbildung ihre Hoffnung auf einen Beruf weckt, den sie in Ermangelung von Arbeitsangeboten später nie werden ergreifen können. Glaubwürdiger ist es da, ihnen ihre Perspektivlosigkeit nicht zu verheimlichen und sie wenigstens die Vergnügungen, die sie sich leisten können, genießen zu lassen.


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