© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Ein entschiedenes Vielleicht
Statt das Feld der Vierzigjährigen zu beackern, muß junge Elternschaft wieder attraktiv werden
Ellen Kositza

Nein, ein sonderlich progressives Gymnasium war es nicht, jene katholische Mädchenschule, die ich dereinst besuchte. Das Tragen offener Haare und "aufreizender" Kleidung (worunter bereits sommerliche "Spaghettiträger" am langen Kleid fielen) unterlag einem zumindest informellen Verbot, es dominierte der Frontalunterricht, sexuelle Aufklärung, die über Organfunktionen hinausging, fand nicht statt. Kurz: ein Hort an Zucht und Ordnung.

Einige Lebensweisheiten durchzogen die Schuljahre - sie sollten schließlich dauerhaft wirken. "Fröhlich, fromm und fleißig" war die eingängigste Devise, die freilich hinterrücks belächelt wurde. Nachhaltiger wirkte eine weitere Maßgabe, die fächer- und lehrinhaltübergreifend gepredigt wurde: Mädchen, laßt euch kein Kind anhängen! Seid tüchtig im Studium, lernt einen rechtschaffenen Beruf und hütet den Leib!

Die Predigt hat gesessen, zumal die Zeiten, in denen man sich "ein Kind anhängen" ließ, dank Pille ohnehin längst passé waren, selbst im biederen Mikrokosmos der Mädchenschule. Zum zehnjährigen Abi-Jubiläum waren unter den achtzig Mädchen, die längst keine mehr waren, nur sechs Mütter, berufliche Versagerinnen gab es kaum, allenfalls eine Handvoll Langzeitstudentinnen. Da die schulische Vergangenheit in guter Erinnerung war, hat rund ein Viertel die Laufbahn des Lehrers angestrebt. Frau befand sich im Referendariat oder hatte es bereits hinter sich. Eigene Kinder: Ach, sicher mal! Aber jetzt doch noch längst nicht! Ohne Neugier, eher mit mißtrauischer Distanz wurden, wenn überhaupt, die beiden anwesenden Kleinkinder in Augenschein genommen.

Walter Kempowski hat eine ähnliche Szenerie in seinem "Hamit. Tagebuch 1990", das die FAZ derzeit vorabdruckt, aus der Sicht des desillusionierten Pädagogikdozenten trefflich beschrieben: "Es fehlt den Studentinnen die Kinderliebe. Sie kennen gar keine Kinder und interessieren sich offenbar auch gar nicht für sie. Vielleicht kommt das ja noch. Ein Kind mit ins Seminar bringen und den Studenten die feinen Finger zeigen, die Augen, und daß sie vor Freude tanzen, hüpfen wie später nie wieder im Leben. - Lehrer (wahlweise: Eltern; E.K.) sein: Kinder glücklich machen, sie zum Lachen bringen, begeistern, ihnen die Angst nehmen, sie zu sich nehmen. O Gott! Was für ein herrlicher Beruf. Aber dann sieht man die zukünftigen 'Erzieher', wie sie dasitzen wie Klöße und sich was vormachen lassen, sitzen kloßhaft da und rühren sich nicht."

Daß Kinderwunsch und Elternglück schwinden, ist bekannt und vielbeklagt. Eine wichtige Zutat zum demographischen Mißstand: das stetig steigende Alter frischgebackener Eltern. 1971 lag das durchschnittliche Alter einer Erstgebärenden noch bei rund 24 Jahren, 1985 bereits bei 26, heute sind junge Mütter hierzulande knapp 32 Jahre.

Etwa 27.500 Geburten jährlich entfallen auf unter 20jährige, sie gilt es nach öffentlichem Einvernehmen zu vermeiden, während die Rate von 135.000 Geburten bei Frauen ab 35 Jahren (bei einer Gesamtgeburtenzahl von 700.000 pro Jahr) als dringend ausbaufähige Quote angesehen wird. 7,5 Millionen Frauen sind heute zwischen 35 und 45 Jahren, ein knappes Drittel von ihnen ist noch kinderlos. Es sind die letzten geburtenstarken Jahrgänge, die nächste Generation wird um ein Drittel kleiner sein.

Das mäßig fruchtbare Feld der Vierzigjährigen zu beackern, mag ein ehrgeiziges Vorhaben für Reproduktionsmediziner sein, lohnenswerter erscheint es, junge Elternschaft attraktiv zu machen. Kinderkriegen sei nicht sexy, stellte die Herausgeberin der Zeitschrift Eltern einmal mit ernüchtertem Blick auf eine entsprechende Umfrage fest.

So deplaziert die Kategorie der "Sexyness" dem Familienromantiker erscheinen mußte, so trifft sie doch einen Kern; einen wenn nicht handfesten, so doch gültigen Grund für die Zeugungsenthaltung junger Menschen im besten Alter ihrer Reproduktionsfähigkeit.

Der Vorbildeffekt, das, was Soziologen als role model fassen, ist hier nicht hoch genug zu schätzen: Wo Mütter und Väter mittleren Alters mit all den Begleiterscheinungen bereits gelebter Berufsjahre das Blickfeld dominieren, hat Elternschaft einen geringen Nachahmungseffekt auf Mittzwanziger. Überwiegen junge Eltern, wie in den vielzitierten "Szene-Vierteln" von Dresden und Berlin, so ergibt das zuverlässig einen Trend.

Als das Berlin Institut für Bevölkerungsforschung einen "Kampf um die letzten Reserven" (die kinderlosen Spätdreißiger) ausrief, war dem ein breites Forum gewiß, das vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehaltene Plädoyer für "Twenty Moms" fand dagegen kaum Gehör: Warum eigentlich nicht? Junge Elternschaft wirkt dynamisierend, und "Vereinbarungsschwierigkeiten" treten in jedem Alter auf. Daß Fruchtbarkeit und Wahrscheinlichkeit genetisch gesunder Nachkommenschaft bei Frauen bereits jenseits der Dreißig rapide nachlassen, sollte bekannt sein. Und der späte Vater?

Bevölkerungspolitisch ist er ein Glücksfall, im Alltag jedoch ein oft sonderbares Phänomen. Herkömmliche Insignien der Männlichkeit hat er abgelegt, so muß es auf die nächstjüngere Generation wirken: Frischgebackene Väter um die 40 sind oft geistige Erziehungsurlauber, auch wenn meist ein vollrealer Rollenwechsel nicht praktikabel erscheint. Der späte Vater bespricht Anrufbeantworter auch im Namen des Kindes, läßt dreinamige Adreßstempel herstellen, verschickt per Rundmail mit neuem, familiär ausgerichtetem Absender (dreimalmueller@...) regelmäßig Fotoserien vom Familienzuwachs und nennt letzteren auch im weniger intimen Kreis "Pupsmäuschen" oder "Krabbelracker".

Das sind emotionale Ausschläge, die sich ein junger Vater kaum durchgehen lassen würde, der noch mithalten will in seiner Alterskohorte. Sicher, in punkto Verantwortungsbewußtsein sind späte Väter den jungen überlegen: Familiäre Fahrradtouren mit Helm und Einkaufswägen mit hefefreien Bio-Brotaufstrichen sind unter vierzigjährigen Jungvätern die Regel, unter jüngeren die Ausnahme.

Dazu passen etwa jene Beobachtungen, die der DB-Vielfahrer wahrnimmt: Während der Studentenpapa Freundin und Kind mit Poklaps und einem unbekümmerten Winken in den Zug verabschiedet, hat der späte Vater Unterstützung mitgebracht, die mit Fuß in der Tür den Zug am Abfahren hindert, während Vati hochroten Gesichts Kinderwagen wie "Spielcenter" herumhievt und die Sicherheit der klappbaren Wickelauflage im Kinderabteil ebenso überprüft wie die Platzreservierungen der jungen Dreifachmutter, deren - freilich unreservierte - Gören ebendort bereits Unordnung verbreiten. Wie kann man sich Elternschaft so einfach machen, mag der planmäßige Vater sich entsetzt fragen - und die Frage nach einem weiteren Kind mit einem entschiedenen "Vielleicht-irgendwann" beantworten.

Überhaupt - der "Vaterschaftswunsch" ist eine recht unerforschte Größe. Die berüchtigte biologische Uhr jedenfalls tickt beim anderen Geschlecht. Der Mann ist ergänzend gefragt: als Weckfunktion.

Wo Mütter und Väter mittleren Alters das Blickfeld do- minieren, hat Elternschaft einen geringen Nachahmungs-effekt auf Mittzwanziger.

Bevölkerungspolitisch ist der späte Vater ein Glücksfall, im Alltag jedoch ein sonderbares Phänomen. Väter um 40 sind oft geistige Erziehungs-urlauber.

Foto: Vater und Sohn: Die biologische Uhr tickt beim anderen Geschlecht, der Mann ist als Weckfunktion gefragt


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