© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Europa schlägt zurück
EU: Eine Europäische Digitale Bibliothek soll die Antwort auf das US-Projekt "Google Print" werden
Anni Mursula

Die US-Firma Google (Börsenwert 2005 etwa 112 Milliarden US-Dollar) will in den näch-sten Jahren 15 Millionen Werke - das sind mehr als viereinhalb Milliarden Buchseiten - aus den größten Bibliotheken der Welt digitalisieren und ins Internet stellen. Die US-amerikanischen und englischen Bibliotheken sind bereits in der Erfassung. Spätestens seit der Ankündigung des Unternehmens im vergangenen Jahr, sein neuestes Projekt "Google Print" auch über den Atlantik auszuweiten, wurde in Europa - insbesondere in Frankreich - die Gefahr erkannt.

Die von den US-Studenten Larry Page und Sergey Brin ab 1995 entwickelte Internetsuchmaschine "Google" begann 1999 ihren Siegeszug als meistgenutzter Lotse durch die virtuelle Datenflut. Im deutschsprachigen Internet besitzt Google bereits einen Marktanteil von über 80 Prozent. Demnächst droht Google sogar die Deutungshoheit über das Allerheiligste der europäischen Nationen - über das in jahrhundertealten Bibliotheken aufbewahrte Kulturgut - zu erobern.

Jean-Noël Jeanneney, der Präsident der französischen Nationalbibliothek, war einer der ersten, der sich über die Tragweite des digitalen Projekts von Google Gedanken machte. Er sprach von der Gefahr einer "Amerikanisierung des Weltgedächtnisses" und rief die Europäer zum Widerstand auf. Mit Unterstützung des französischen Präsidenten Jacques Chirac kämpft Jeanneney, dessen Buch "Googles Herausforderung" kürzlich auf deutsch erschien, seit einem Jahr für eine Gegeninitiative, eine "Europäische Digitale Bibliothek" (EDB).

Ab diesem Jahr sollen nun die Bestände der europäischen Büchersammlungen systematisch digital archiviert werden. Bis 2010 soll die EDB mindestens sechs Millionen Bücher, Dokumente und andere kulturelle Werke via Internet erschließen. Teilweise sind die Bücher der Nationalbibliotheken bereits eingelesen worden, deshalb gehe es auch um eine Vernetzung schon bestehender Datenbanken. Mit Ausnahme von Portugal und Großbritannien unterstützen alle Nationalbibliotheken der EU das Projekt.

Bei einer Anfang März in der französischen Botschaft in Berlin veranstalteten Podiumsdiskussion betonte Jeanneney, daß Googles Vorhaben grundsätzlich gut sei. Er hält es allerdings für äußerst gefährlich, die Digitalisierung des wertvollen Kulturerbes Europas allein einer US-Suchmaschine zu überlassen. Es gehe bei der EU-Initiative nicht um ein Wettrennen mit Amerika, oder einen Konkurrenzkampf zweier Suchmaschinen. Tatsächlich bestünde der Konflikt vielmehr zwischen Kapital und Kultur und zwischen Selbst- und Fremddefinition. Er warnte außerdem vor einer möglichen "Google-Zensur". Hier meinte er aber nicht die "Google-Zensur" aus strafrechtlichen Gründen, beispielsweise in Deutschland (etwa wegen Paragraph 130 StGB /"Volksverhetzung") oder im kommunistischen China. Sondern die Tatsache, daß etwas, daß den Google-Filter nicht durchdringt oder weit unten plaziert wird, faktisch nicht existiere. Auch die Gewichtung der Sekundärliteratur bei "Google Print" wurde von dem Historiker und Hochschulprofessor Jeanneney problematisiert. Hier wäre die Entwicklung eines falschen Bildes der europäischen Geschichte möglich. Er wolle nicht, daß die Französische Revolution nur durch Bücher wiedergegeben werde, die von den USA ausgewählt wurden.

Daß Frankreich um seine Geschichte, Kultur und Sprache kämpft, ist nichts Neues. In Deutschland wurde der US-amerikanische Angriff Googles vor einem Jahr allerdings kaum thematisiert (JF 19/05). Deutschland macht nur deshalb mit, weil Chirac seinen Freund, den damaligen Kanzler Gerhard Schröder, 2005 mit ins Boot geholt hat. Als Land von Goethe, Schiller und Lessing - und das Land, in dem der Buchdruck durch Gutenberg überhaupt erst erfunden wurde - hätte Deutschland aber allen Grund, seine Kultur, Geschichte und Sprache genauso vehement zu verteidigen, wie Frankreich dies tut.

Für die Verwirklichung eines Projektes in dieser Größenordnung sind schätzungsweise 300 Millionen Euro nötig - weit mehr als ein einzelner Staat zur Verfügung stellen kann. Aus diesem Grund hat sich die EU-Kommission eingeschaltet und am 2. März einen Plan zur Förderung der digitalen Bibliothek vorgelegt. Das Projekt soll von der EU mitfinanziert werden, um das Restliche sollen sich die einzelnen Mitgliedsstaaten kümmern. Auch das konkrete Einlesen der Bände soll von den Ländern selbst durchgeführt werden. Im Gegensatz zur gewinnorientierten Firma Google, die die Internetbibliothek durch Werbung finanzieren will, betont die EU und vor allem Frankreich, daß Bücher in erster Linie Kulturgüter und keine Handelsware seien. Deren digitale Archivierung für kommende Generationen dürfe deshalb nicht der Privatwirtschaft überlassen werden.

Jean-Noël Jeanneney: Googles Herausforderung. Für eine europäische Bibliothek. Wagenbach, Berlin 2006, broschiert, 116 Seiten, 9,90 Euro

Foto: Asterix attackiert die US-Firma Google: Frankreich warnt vor der "Amerikanisierung des Weltgedächtnisses"


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