© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Traurige Rekorde
Pressefreiheit: Die Übergriffe auf Journalisten nehmen weltweit zu / Hilfsorganisationen wie die IGFM und Reporter ohne Grenzen brauchen einen langen Atem
Curd-Torsten Weick

Das aktuelle Barometer der Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen (ROG) spricht eine deutliche Sprache. Seit Jahresbeginn wurden bisher weltweit sieben Journalisten und fünf Medien-Assistenten getötet. Außerdem befinden sich 123 Journalisten, drei Medien-Assistenten und 54 sogenannte Internet-Dissidenten in Haft. Einen "traurigen Rekord" nennt dies die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und denkt dabei explizit an die 49 Internet-Dissidenten und 32 Journalisten in der Volksrepublik China, die sich wegen ihrer Kritik an den Behörden oder den Repräsentanten des Staates derzeit in Haft befinden.

Keine Rücksicht auf diplomatische Verbrämungen

Wenn es um die bürgerlichen Rechte wie Meinungs-, Versammlungs-, Religions- oder wie im Falle Chinas auch um die Pressefreiheit geht, nimmt die IGFM, zu deren Kuratoren, um nur einige zu nennen, Otto von Habsburg, die Politikwissenschaftler Klaus Hornung und Klaus Motschmann sowie der Schriftsteller, ehemalige politische Gefangene und ehemalige Landesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit im Freistaat Sachsen, Siegmar Faust, gehören, keine Rücksicht auf diplomatische Verbrämungen: "In der Volksrepublik China wird die Presse vom Staat umfassend überwacht, zensiert und rigoros eingeschüchtert, falls Journalisten es wagen, von den Vorgaben der Kommunistischen Partei abzuweichen. Die Medien unterliegen ganz offiziell der Aufsicht der staatlichen Presse- und Publikationsverwaltung, die von der KP geführt wird. Die zuständige Stelle der KP heißt auch heute noch 'Propagandaabteilung'. Die 360 Fernsehsender und über 300 Radiostationen des Landes sind alle in staatlicher Hand. Journalisten, die unabhängig berichten wollen und von der Parteilinie abweichen, riskieren Drohungen, Entlassung, körperliche Übergriffe und Verhaftung."

Doch ist China in puncto Einschränkung der Pressefreiheit nur ein Land unter vielen. So macht die 1972 in Frankfurt am Main gegründete IGFM parallel dazu auf den Hungerstreik des Kubaners Guillermo Fariñas Hernandez aufmerksam. Der Journalist appelliert an das Castro-Regime, der Bevölkerung endlich das universell anerkannte Recht auf freien Internetzugang zu gewähren, und erhält bei seinem Hungerstreik die Unterstützung der IGFM (siehe Seite 3).

Überhaupt wirft die als gemeinnützig anerkannte Nichtregierungsorganisation einen wachen Blick auf Fidel Castros Inselstaat. Entsprechend veranstaltet sie vom 5. bis zum 7. Mai 2006 in Königstein bei Frankfurt eine Internationale Kuba-Konferenz zum Thema "Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen".

Die IGFM ist weltweit durch 26 Sektionen vertreten. Sie erhält keine staatlichen oder kommunalen Zuschüsse, und ihre Arbeit wird ganz überwiegend durch Ehrenamtliche geleistet. Ob die "unterdrückte Meinungs- und Pressefreiheit beim EU-Kandidaten Türkei", ob das "diktatorische Regime" von Präsident Alexander Lukaschenko in Weißrußland oder der "staatlich gelenkte 'Volkszorn' gegen Mißliebige" in Vietnam - Ziel der IGFM ist es, Menschen zu unterstützen, die sich gewaltlos für die Verwirklichung der Grundrechte in ihren Ländern einsetzen oder sie in Anspruch nehmen und deswegen verfolgt werden.

Berechnungen des Writers in Prison Committee zufolge wurden im vergangenen Jahr 26 Journalisten und Schriftsteller ermordet (bei 21 weiteren Fällen steht eine abschließende Beurteilung seitens des Komitees noch aus), zwölf gelten als verschollen, zehn wurden entführt, und mehr als 200 befinden sich in Haft. Writers in Prison ist ein Programm der weltweit agierenden über 140 Schriftstellervereinigungen, die im Internationalen P.E.N. vereint sind. Das Writers in Prison Committee wurde im Jahr 1960 gegründet - "als Reaktion auf die bedrohlich wachsende Zahl der Länder, die versuchen, Schriftsteller durch Repressionen mundtot zu machen". Man nehme sich verfolgter Verleger, Redakteure und Journalisten an - "jedoch unter einer Prämisse: Gefangene, die wegen Propagierung von Gewalt oder gar ihrer Anwendung verurteilt wurden, und solche, die zum Rassenhaß aufgerufen haben, werden nicht unterstützt, weil ihre Aktivitäten mit der Charta des Internationalen P.E.N. unvereinbar sind". Entsprechend wirken knapp 60 der insgesamt 140 P.E.N.-Zentren im Writers in Prison Committee mit, dessen Zentrale sich in London befindet. Unter ihnen das P.E.N.-Zentrum Deutschland.

Besonders stolz ist man in seinem Kampf für die Pressefreiheit auf den Erfolg der sogenannten Rapid Actions. P.E.N.-Angaben zufolge hätten die vielen Proteste und Appelle an Regierungen und Justizbehörden der Verfolgerländer ihren Erfolg nicht verfehlt. So habe man im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres im engen Zusammenspiel mit zahlreichen anderen Menschenrechtsorganisationen, Menschenrechtsbeauftragen von Uno, Unesco und OSZE und "vielen engagierte Einzelpersonen" erreicht, eine Erfolgsquote der Rapid Actions von 42 Prozent zu erzielen. Eine recht stolze Zahl. Doch scheint es sich eher nur um die Spitze eines Eisbergs zu handeln. Denn eines ist offensichtlich: Vielfach liegen die Zusammenhänge beim Thema Einschränkung der Pressefreiheit im Dunkeln politischer Machtkalküle.

Im Dunkel politischer Machtkalküle

Tatsächlich fällt es den Hilfsorganisationen nicht immer leicht, Licht ins Dunkel staatlicher Unterdrückung und mafiösen Terrors zu bringen. So im aktuellen Todesfall des russischen NTV-Journalisten Ilya Zimin. Der stehe, wie die Hilfsorganisation ROG berichtet, "eventuell im Zusammenhang mit seinen Recherchen". Der Journalist war am 26. Februar tot aufgefunden worden. Der 33jährige lag inmitten eines verwüsteten Zimmers, und sein Gesicht wies Verletzungen auf. Dazu Reporter ohne Grenzen: "Journalisten in Rußland werden oft bedroht, wenn sie über sensible Themen berichten. Zuletzt mußte Paul Khlebnikov im Juli 2004 seine Recherchen mit seinem Leben bezahlen. Ilya Zimin war ein investigativer Reporter, und es mag Kräfte geben, die ihn deshalb lieber verschwinden lassen wollten." Welche Kräfte dies sein könnten, kann auch ROG, die von Journalisten wie Maybritt Illner, Heribert Prantl, Thomas Roth und Sabine Christiansen unterstützt wird, nicht beantworten. Doch gibt man einen Fingerzeig: "Kurz vor seinem Tod recherchierte er zur Hygiene in Moskaus Luxusrestaurants. Oft benutzte er eine versteckte Kamera."

Doch edle Luxusrestaurants hin und versteckte Kamera her, der zuständige Moskauer Staatsanwalt tut sich schwer, so ROG, eine Verbindung zwischen dem Mord an Zimin und dessen journalistischer Tätigkeit herzustellen. Aus diesem Grund appelliert Reporter ohne Grenzen, Ermittlungen in diese Richtung zu ergreifen. Ob sich der Moskauer Staatsanwalt allerdings von den Appellen der im Jahr 1985 in Frankreich gegründeten Organisation beeinflussen läßt, steht auf einem anderen Blatt. Doch ähnlich wie die IGFM und P.E.N. zeigt sich die ROG kämpferisch: "Wir erzeugen Druck auf die Verantwortlichen und setzen das Thema auf die politische Agenda - national wie international. Wir sind bekannt für den langen Atem, der oft notwendig ist, um Regierungen und internationale Organisationen zum Handeln zu bewegen."

Die Frage ist nur, ob sich die Verantwortlichen auch bewegen wollen, denn letztlich kommen die Nichtregierungs-Hilfsorganisationen über den Beobachter- und Beratungsstatus beim Europarat, der Unesco oder der zuständigen Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen nicht hinaus.

Foto: Journalisten-Protest gegen Zensur in Nepal (Juni 2005): Im Kampf gegen die kommunistische Infiltration setzt König Gyanendra Sha Dev auf die Einschränkung der Pressefreiheit

Foto: Hilfsorganisationen

Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Deutsche Sektion e.V., Borsigallee 9, 60388 Frankfurt/Main, Tel.: 0 69 / 4 20 10 80, www.igfm.de und www.menschenrechte.de.

P.E.N. - Zentrum Deutschland e.V., Kasinostr. 3, 64293 Darmstadt, Tel.: 0 61 5 / 2 3120, www.pen-deutschland.de

Reporter ohne Grenzen e.V (ROG)., Skalitzer Straße 101, 10997 Berlin, Tel.: 0 30 / 6 15 85 85, www.reporter-ohne-grenzen.de.

 

Stichwort: Tag der Pressefreiheit

Der 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. Er wurde auf Vorschlag der Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur) im Jahr 1991 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ausgerufen. Der Internationale Tag der Pressefreiheit erinnert an die Erklärung von Windhoek, die am 3. Mai 1991 anläßlich eines UN/Unesco-Seminars zur Förderung einer unabhängigen und pluralistischen Presse in Windhoek/Namibia verabschiedet wurde. Die Erklärung betont, daß freie, pluralistische und unabhängige Medien ein wesentlicher Bestandteil jeder demokratischen Gesellschaft sind.


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