© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Rennen um die Spitze
Bildungspolitik: Wohlverstandener Föderalismus könnte uns auf Trab bringen
Josef Kraus

Weil es in Sachen Schulpolitik mindestens so viele Millionen Experten gibt wie in Sachen Fußball, nehmen die entsprechenden Ratschläge, Denkschriften und auch Schnapsideen oft inflationär zu. So verfestigt sich gelegentlich der Eindruck, das Reden über Schule, nicht das Gestalten von Schule sei das Wichtigste. Daß es innerhalb Deutschlands aber ein erhebliches schulisches Gefälle gibt, wissen unbefangene Beobachter schon seit Jahrzehnten. Ideologisch Fixierte dagegen wollten es nicht wissen, und sie greifen erneut, nachdem dieses Gefälle zwei und mehr Schuljahre ausmacht, nach jeder Ausrede, um davon abzulenken. Freilich stehen bei innerdeutschen schulischen Leistungsvergleichen vor allem Bundesländer am Pranger, die jahrzehntelang rot-grün regiert wurden. Pisa ist nun deren schulpolitischer GAU.

Weil jedoch nicht sein kann, was nicht sein darf, fällt den schulpolitisch Bewegten wieder eine alte Variante bundesweiter schulischer Egalisierung ein: Anstelle der Länder solle der Bund aus Gründen der Einheitlichkeit das Kommando in der Schulbildung übernehmen. Daß diese Idee geradezu anachronistisch ist angesichts der laufenden großen Staats- und Verfassungsreform, die den Föderalismus sogar massiv stärken soll, mag die Zentralisten nicht beeindrucken. Realpolitiker waren sie noch nie. Aber auch jenseits der Realpolitik gilt: Es ist gut, wenn der Bildungsföderalismus gestärkt wird. Zu oft hat etwa eine SPD-Bildungsministerin Edelgard Bulmahn zwischen 1998 und 2005 versucht, schulische Kompetenzen an sich zu ziehen, und ist dabei auch vor Tricks (Finanzierung von Ganztagsschulen, lautstarke Favorisierung der Gesamtschule) nicht zurückgeschreckt.

Gottlob hat sich aber die Überzeugung durchgesetzt, daß der deutsche Föderalismus ein wertvolles Gut ist; er entsprang nicht einer Laune der Väter und Mütter des Grundgesetzes. Die Jahre 1806, 1815, 1848 und 1871 stehen für diesen Föderalismus, der den Gliedstaaten die Gestaltungshoheit in Kultur und Schule zuwies. Die Weimarer Republik und der Nationalsozialismus haben dieses Prinzip nur vorübergehend annulliert. Wenn das Grundgesetz 1949 wieder am Föderalismus anknüpfte, hatte dies mit dem Wunsch zu tun, einer neuerlichen Entstehung eines uniformierten Zentralstaates und einer totalitären Kulturpolitik vorzubeugen. Gerade die Schulhoheit der deutschen Länder wurde damit wieder Kern ihrer Eigenstaatlichkeit. Das ist deshalb von Vorteil, weil der Föderalismus Wettbewerb ermöglicht. Immerhin hat er es erlaubt, daß wenigstens die Süddeutschen samt Sachsen international gut mithalten können.

Tatsächlich verhindert der Bildungsföderalismus Einebnungen. Allerdings kann es auch nicht so weitergehen wie bislang. Die schulpolitische Eigenbrötlerei vor allem kleinerer Bundesländer muß ein Ende haben, und die Kultusminister müssen in entscheidenden Fragen rascher "zu Potte" kommen. Hier gibt es unrühmliche Beispiele. Als die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 1996 eine neue, noch heute gültige Abiturvereinbarung verabschiedete, hatte Hamburg noch nicht einmal die Vereinbarung aus dem Jahr 1987 verwirklicht. Immer wieder haben auch andere Bundesländer gegen bestehende Vereinbarungen bedenkenlos das gemacht, was die politische Mode gebot und die Kassenlage erlaubte, um sich am Ende von der KMK bestätigen zu lassen, daß das alles mit der KMK-Beschlußlage konform sei. Und ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert hat sich die KMK mit der Rechtschreibreform und deren mühsamen Metareformen sowie mit ihrer nachlässigen Bereitschaft, die traditionellen Abschlüsse deutscher Hochschulen auf dem Altar Bologneser Bachelor- und Master-Studiengänge zu opfern.

Föderalismus bedeutet Ringen um die besten Lösungen. Allerdings ist dafür eine KMK notwendig, die Vereinbarungen nicht immer als Kompromiß eines Kompromisses, also auf der untersten Anspruchsebene festklopft. Das Grundgesetz schreibt Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland vor. Richtig, Einheitlichkeit aber bitte nicht auf dem untersten, sondern auf dem obersten Niveau. Das sollten sich alle Länder hinter den Spiegel stecken, denn Deutschland steht hinsichtlich Schulbildung erst dann wieder besser da, wenn auch die Schlußlichter unter den Bundesländern wenigstens zur internationalen Mittelklasse aufgeschlossen haben.

Damit etwas vorangeht, braucht namentlich die KMK eine Dynamisierungskur. Sie sollte sich endlich darauf besinnen, wie man die langsamsten der Länder auf Trab bringt. Vermutlich wäre das gar nicht so schwer: Es müßte nur einmal der eine oder andere Landesminister die große KMK-Harmonie über Bord werfen und so manche Dumping-Vereinbarung zur deutschlandweiten Anerkennung von Schulabschlüssen aufkündigen. Dann käme Bewegung in den Laden. Den Bund braucht man in Schulangelegenheiten jedenfalls nicht. Man stelle sich nur einmal vor, wo Pisa-Deutschland stünde, wenn der Bund zwischen 1969 und 1982 die schulischen Gestaltungsrechte gehabt hätte. Dann lägen heute auch die Süddeutschen auf dem Pisa-Niveau Bremens.

 

Josef Kraus ist Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Autor des Buches "Der Pisa-Schwindel" (Signum-Verlag, 2005).

"Föderalismus ist gut und bedeutet Ringen um die beste Lösung. Die schulpolitische Eigenbrötlerei vor allem kleinerer Bundesländer muß aber ein Ende haben."

Foto: Wir sind so frei!


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