© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Frisch gepresst

Arbeitsgesellschaft. Wer den Titel des Buches von Elke Schwinger, "Der 'Geist des Kapitalismus' und die Zukunft der Arbeitsgesellschaft" (Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, 204 Seiten, broschiert, 29,80 Euro) liest, erwartet so etwas wie einen Kommentar zu den monatlichen Horrorzahlen aus Nürnberg, vielleicht sogar den Hauch einer Andeutung, ob die Arbeitslosenzahl jemals wieder unterhalb von vier bis fünf Millionen sinkt. Um dieser Erwartung gerecht zu werden, hätte Elke Schwinger das Problem eher als Wirtschaftswissenschaftlerin angehen müssen. Tatsächlich ist sie als Schülerin von Henning Ott-mann aber Spezialistin fürs Allgemeine, "praktische Philosophin", mit einem recht gebrochenen Verhältnis zur Praxis. Für einen Ökonomen dürften ihre verschwommenen Entwürfe, mit "familialen Netzwerke" den tertiären Dienstleistungssektor (Heim- und Fürsorge-Arbeit) zu entwickelnt und damit den Ausbau der "Zivilgesellschaft" zu beschleunigen, wohl bestenfalls gut gemeint sein. Nicht zufällig erinnert daher die Lektüre allzuoft an die russische Bürokratenweisheit: Wir wollten das Beste, aber es kam wie immer!

Geistiges Locarno. Wer kennt heute noch Otto Grautoffs, Paul Distelbarth, Henri Lichtenberger oder Jacques Rivière? Als "Mittler zwischen den Nationen" Deutschland und Frankreich nach 1919 dürfte der "Eiserne Gustav" genannte Berliner Kutscher Hartmann wahrscheinlich größere Bekanntheit beanspruchen. Folgt man dem Urteil Hans Manfred Bocks, hat der Zweite Weltkrieg die Erinnerung an die um eine Versöhnung bemühten Intellektuellen beiderseits des Rheins vernebelt. Bock widmet deshalb diesem "geistigen Locarno" eine umfassende "intellektuellensoziolo-gische und perzeptionsanalytische" Vorstellung. Der politische Kontext, beherrscht vom vergifteten Klima des Versailler Straffrieden, der alle Bestrebungen dieser frühen Versöh-nungs-Protagonisten letztlich scheitern ließ, gerät in den kenntnisreichen biographischen "Fallstudien" leider manchmal etwas aus dem Blickfeld (Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung. Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005, 412 Seiten, broschiert, 39,90 Euro).

Einfache Politik. Dieter Brandes verzichtet gerne auf das Überflüssige. Als ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrates von Aldi Nord weiß er, wovon er spricht, wenn es um Strategie und Organisation geht. Brandes zeigt, wie unübersichtlich der Staat geworden ist und wie diese Komplexität zu reduzieren wäre. Er nennt EU, Hartz IV und das deutsche Steuersystem als Beispiele. Das Buch selber verfolgt ebenfalls die Tugend der Einfachheit. Es soll schließlich in "30 Minuten" lesbar sein. Sein Aufruf, komplexe Sachverhalte zu hinterfragen und zu vereinfachen, verfängt sich leider in seiner eigenen Theorie (Dieter Brandes: 30 Minuten für mehr Einfachheit und Klarheit in der Politik. Gabal Verlag, Offenbach 2005, 80 Seiten, broschiert, 6,50 Euro)


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