© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Napoleon gegen Professor
Italien: Ein beispielloser Wahlkampf entbrannt / Berlusconi und Prodi verbindet eine tiefe Männerfeindschaft
Paola Bernardi

Am 9. und 10. April sollen die italienischen Bürger an die Wahlurnen gehen und darüber entscheiden, ob Premier Silvio Berlusconi eine weitere Legislaturperiode im Amt bleibt oder der Chef des linken Oppositionsbündnisses, Romano Prodi, ein zweites Mal in den römischen Palazzo Chigi einziehen wird.

Um die 51 Millionen Stimmen ist ein - sowohl visuell wie akustisch - beispielloser Kampf entbrannt, denn ausschlaggebendes Pendel zwischen den beiden Blöcken wird wahrscheinlich eine winzige Stimmenzahl sein. Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition Casa delle Libertà hat in den letzten Monaten wieder an Zustimmung gewonnen und lag letzte Woche laut Umfragen derzeit mit 48,4 Prozent knapp vor Prodis Mitte-Links-Bündnis L'Unione mit 48,2 Prozent.

Stärkste Einzelpartei im "Haus der Freiheiten" würde demnach wie schon 2001 erneut Berlusconis rechtsliberale Forza Italia (FI) mit 24,9 Prozent, gefolgt von der rechtsnationalen Alleanza Nazionale (AN) mit 12,2 Prozent, der christdemokratischen UDC mit 4,9 und der nur in Norditalien aktiven Bürgerbewegung Lega Nord mit 4,6 Prozent.

Buntes Mitte-Links-Bündnis hat Chancen auf Wahlsieg

Stärkste Kraft in Prodis Union würden erneut die postkommunistischen Linksdemokraten (DS) mit 25,9 Prozent, gefolgt vom linksliberalen La Margherita-Bündnis mit 10,1 Prozent und den verbalradikalen Altkommunisten (PRC) mit 6,1 Prozent. Kleinere Bündnispartner wie die Kommunisten (PCI), die Grünen oder die Rentnerpartei liegen jeweils unter zwei Prozent.

Letzten Samstag veröffentlichte die linksliberale La Repubblica gegenteilige Zahlen: 51,4 Prozent für Prodis Bündnis, 46,4 Prozent für das Berlusconi-Lager. Doch selbst wenn ein Wahlblock in der Kammer eine Mehrheit erzielt, ist es dennoch möglich, daß im Senat der andere Block vorn liegt - in den Regionen gibt es im Wahlrecht einen Extrabonus für die relative Mehrheit.

Nicht nur, daß Wahlplakate mit den Köpfen und Parolen der zur Wahl antretenden Politiker die Straßenzüge bepflastern, tagtäglich machen unzählige Radiosendungen im Lande rund um die Uhr Parteien-Werbung. Am Abend folgen dann die großen TV-Politsendungen, wo seit 15. Februar strenge Gleichberechtigung (par condicio) herrscht.

Und im Fernsehen ist der Medienunternehmer Berlusconi in seinem Terrain. Wie ein geborener Conferencier liebt er das Scheinwerferlicht und scheut sich auch nicht vor maßlosen Übertreibungen wie im Werbefernsehen: "Nur Napoleon hat mehr geleistet als ich", tönte er sogar. Foglio-Chefredakteur Giuliano Ferrara kam daher auf den Einfall, ihn in seinem Blatt über zwei Farbseiten als Napoleon darzustellen.

Da wegen der Wiedereinführung des Verhältniswahlrechts (ohne Fünf-Prozent-Klausel) diesmal jede Stimme zählt, werden speziell Schüler, Studenten, Hausfrauen und Mütter, Rentner, Schwule und Transvestiten wie noch nie umworben. Seltsame Versprechen werden gemacht: Prodi, der Linkskatholik, ist erst für die Legalisierung der Homo-Ehen (Pacs) und dann wieder nicht. Da geht es um das linke Versprechen von 2.500 Euro Baby-Geld (als Antwort auf Berlusconis 1.000-Euro-Geburtsgeld), freie Schulbücher oder ob dem geplanten Bau der Hochgeschwindigkeitsbahn von Turin nach Lyon (Tav) stattgegeben werden soll, ebenso wie dem teuren Hochwasserschutzprojekt in Venedig. Je nach dem, wo sich die Kandidaten befinden, werden die Wähler entsprechend geködert.

Berlusconi, 2001 nach siebenjähriger Opposition mit großer Mehrheit gewählt, hat mit seiner Amtsdauer den italienischen Nachkriegsrekord aufgestellt. Er reklamiert für sich: "Wir haben mehr Reformen verabschiedet als alle italienischen Regierungen zusammen."

Das wichtigste Element in diesem erbitterten Wahlkampf ist aber die tiefe Männerfeindschaft zwischen dem 69jährigem Berlusconi und dem 66jährigen einstigen EU-Kommissionspräsidenten Prodi. Sie wirken wie zwei unterschiedliche Charaktere und haben dennoch vieles gemeinsam. Beide treibt der Ehrgeiz, das Land und seine 58 Millionen Einwohner zu regieren. Beide kamen als Außenseiter (Berlusconi als Unternehmer, Prodi als Wirtschaftsprofessor und Präsident der größten staatlichen Holding) ohne traditionelle Parteien als Plattform in die Politik.

Beide hatten gewonnen und verloren - und nun erneut Ärger mit ihren Bündnissen. Speziell die Lega Nord, die seit 1991 die norditalienische Los-von-Rom-Bewegung vereint, hat wachsenden Wählerzuspruch und droht - wie 1994 -auszuscheren. Um rechten Wählern zu imponieren, zeigte Reform-Minister Roberto Calderoli im Februar sein Unterhemd mit aufgedruckten dänischen Mohammed-Karikaturen im Fernsehen. Als daraufhin bei blutigen Zusammenstößen vor dem italienischen Konsulat im libyschen Benghasi elf Menschen erschossen wurden, forderte Berlusconi ihn zum Rücktritt auf, was auch geschah. Doch Calderoni startete eine neue T-Shirt-Kampagne an: "Ich bin stolz, ein Christ zu sein." Auch Kulturminister Rocco Buttiglione (UDC) will es tragen: "Denn es beleidigt niemanden, und wir heben die Werte unserer Religion, unserer Kultur und Tradition hervor."

Da jede Stimme wichtig ist, schloß Berlusconi auch einen Wahlpakt mit der rechtsnational-sozialen Alternativa Sociale (AS) der EU-Parlamentarierin Alessandra Mussolini, die 2003 wegen Kritik von AN-Chef Gianfranco Fini an ihrem Großvater und Finis Israel-Besuch aus der Partei von ausgetreten war. Die AS-Mitgründer Adriano Tilgher von der Fronte Sociale Nazionale und Roberto Fiore von der Forza Nuova dürfen aber wegen eines UDC-Vetos nicht als AS-Kandidaten auftreten. Fiore war einst wegen Terrorismus zu Haftstrafen verurteilt worden und Tilgner 1975 wegen Plänen zur Neugründung der 1945 aufgelösten faschistischen Partei verhaftet worden.

Beide Lager sind auch auf extreme Parteien angewiesen

Daß in Sizilien mehrere UDC-Kandidaten unter Mafia-Verdacht stehen, überrascht ebensowenig wie Berlusconis neuer Ärger mit der Mailänder Staatsanwaltschaft. Pünktlich zum Wahlauftakt entschieden zwei Staatsanwälte, einen neuen Prozeß wegen Bestechung (in den neunziger Jahren) zu eröffnen.

Bis April finden im Mailänder Justizpalast Anhörungen wegen Steuerbetrug und Bilanzfälschung statt. Unter den Geladenen sind die Berlusconi-Kinder Marina und Piersilvio, die das Medien-Imperium des Premiers leiten. Die linke Opposition ist ebenfalls in richterlicher Bedrängnis. Der jüngste italienische Finanzskandal, der mit einer Übernahmeschlacht um eine Regionalbank begonnen hat, entpuppte sich als Korruptionsaffäre innerhalb der DS-Finanzwelt. Veröffentlichte Telefonate zwischen dem DS-Sekretär Pietro Fassino und Ex-Premier Massimo D'Alema zeigten, daß auch die Linken in Skandale verwickelt sind.

Zudem toben in Prodis zersplitterter Union Machtspiele. Prodi darf zwar im Fernsehduell gegen Berlusconi antreten und sein 280seitiges Wahlprogramm vortragen - ein "programmatisches Tuttifrutti", wie selbst linke Zeitungen spötteln. Prodis intensive Bemühungen um die Gründung einer großen linken "Demokratischen Partei" sind hingegen vorläufig fehlgeschlagen.

Die "Einheitspartei" scheiterte am Selbstbewußtsein der DS. Der Ex-Bürgermeister von Rom, Francesco Rutelli von der Margherita, verfolgt ebenso seinen persönlichen Ehrgeiz. Auch andere linksradikale Parteien und Gruppen sind kaum zu bändigen. Schon 1998 hatte die PRC Prodi zu Fall gebracht. Bei einer PRC-Kundgebung in Rom wurden US- und israelische Fahnen öffentlich verbrannt. Die linken Kandidaten skandierten "Intifada wird siegen" oder "Ariel Scharon ist der wahre Terrorist".

Andererseits mußte PRC-Chef Fausto Bertinotti auf DS-Druck hin Marco Ferrando von seiner Kandidatenliste streichen. Der Trotzkist hatte im Corriere della Sera einen Anschlag auf eine italienische Militärbasis im Irak, bei dem 17 Soldaten starben, als legitimen Akt des Widerstands gegen die Besatzer bezeichnet. Für Ferrando soll die Radikalfeministin Lidia Menapace kandidieren - wohl passend zum PRC-Spitzenkandidaten in Rom, dem Transsexuellen Vladimiro "Luxuria" Guadagno. Doch beide - Prodi wie Berlusconi - brauchen auch die "extremen" Stimmen, um zu gewinnen.

Foto: Berlusconi mit Prodi auf EU-Konferenz: Teure Wahlversprechungen und programmatisches Tuttifrutti


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