© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Kontroverse Wiedervorlage
Große Koalition II: Union und SPD ringen um einen Kompromiß zum Antidiskriminierungsgesetz / Deutschland drohen Strafzahlungen
Peter Müller

Ein Farbiger, ein Türke, ein Homosexueller, ein Behinderter und eine Familie mit drei Kindern bewerben sich um eine Wohnung. Wen darf der Vermieter ablehnen, ohne gegen das Antidiskriminierungsgesetz zu verstoßen? Nur die Familie mit drei Kindern." Mit diesem Witz kommentierte ein Passauer Rechtswissenschaftler im Jahr 2002 in einer Fachzeitschrift den damaligen Entwurf der rot-grünen Bundesregierung zum Antidiskriminierungsgesetz.

Der Gesetzentwurf, der während der rot-grünen Regierung als Antidiskriminierungsgesetz geschaffen wurde und um den derzeit Union und SPD ringen, heißt mittlerweile "allgemeines Gleichbehandlungsgesetz". Was aber hat sich inhaltlich nach dem Regierungswechsel getan? Wie so oft begann alles mit der Umsetzung einer europäischen Richtlinie, und wie so oft wurde in Deutschland über das Maß der Vorgaben, die aus Brüssel kamen, hinausgegangen.

Die Richtlinie der Europäischen Union sieht im Kern vor, daß die Mitgliedsstaaten unabhängig von Rasse und ethnischer Herkunft der Betreffenden den gleichen Zugang zu Bildung, Berufsberatung und anderen sozialen Vergünstigungen gewährleisten und eine Diskriminierung im Zusammenhang mit privatrechtlichen Verträgen unterbinden.

Die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder nahm in ihrem Gesetzentwurf zusätzlich noch jene Personengruppen in den Kreis der Diskriminierten auf, die wegen ihres Geschlechts, einer Behinderung oder ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden könnten. Des weiteren wurde die Beweislastumkehr erwogen. Wer also beispielsweise als Eigentümer einer Wohnung nicht an Ausländer vermieten wollte, gegen den sollte mit einer "angemessenen Entschädigung" zugunsten des Ausländers vorgegangen werden.

Starke Einschränkung der Vertragsfreiheit

Allerdings hätte nicht der Ausländer zu beweisen gehabt, daß er benachteiligt worden wäre, vielmehr hätte sich der Vermieter dahingehend exkulpieren müssen, daß er gerade nicht diskriminieren wollte. Dieser Gesetzentwurf wurde kontrovers diskutiert, da er befürchten ließ, daß ein entsprechendes Gesetz die Vertragsfreiheit der Bürger zu stark einschränken würde. Selbst unter Juristen war der Gesetzentwurf stark umstritten. So wurden von Rechtsexperten Fälle konstruiert, die zeigen sollten, wohin das Gesetz führen könnte. Eltern etwa, die für ihre junge Tochter per Zeitungsinserat einen Klavierlehrer suchen, auf die sich ein Pädophiler meldet, könnten diesen unter Umständen nicht ablehnen, da sie sonst gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen würden.

Gespannt darf man daher sein, wie die neue Bundesregierung die europäische Vorgabe umsetzen wird. Laut dem stellvertretenen Unions-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) ist eine Einigung über das umstrittene Gesetz in greifbare Nähe gerückt. Eine besondere Streitfrage stellen allerdings nach wie vor die Merkmale dar, die die diskriminierten Personengruppen qualifizieren sollen. Während die SPD an ihren Forderungen hinsichtlich aller Merkmale festhält, will die Union auf Religion und sexuelle Orientierung verzichten.

Ein weiterer strittiger Punkt ist die Frage, wie weit die Befugnisse von Interessenverbänden wie Gewerkschaften gehen sollen. Die SPD sieht es als notwendig an, daß es Gewerkschaften und Betriebsräten möglich sein muß, gegen die Diskriminierung von Mitarbeitern zu klagen, selbst wenn diese das nicht wollen, dies lehnt die CDU strikt ab. Uneinigkeit herrscht zwischen den Koalitionären auch darüber, in welchem Maße die Kirche bei ihren Beschäftigten Auswahlkriterien wie die Religionszugehörigkeit anlegen darf.

Auf Vorschlag von Bosbach und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sollen die noch offenen Punkte im Koalitionsausschuß endgültig geklärt werden. Dort soll auch darüber entschieden werden, wo und in welchem Umfang die geplante Antidiskriminierungsstelle eingerichtet werden soll.

Es darf also erwartet werden, daß zumindest Teilen der Bevölkerung bei dem eingangs geschilderten Witz das Lachen vergehen wird. Angesichts dieser Tatsache wird sich auch der Steuerzahler ärgern müssen, daß nicht schon unter der Rot-Grün ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde - denn dann wäre Deutschland wenigstens das Vertragsverletzungsverfahren erspart geblieben, das mittlerweile eingeleitet wurde, um die fehlende Umsetzung der EU-Richtlinie zu sanktionieren.

Foto: Erneut auf dem Tisch: Rot-grüne Altlast im Bundestag


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