© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

"Dilettantisch und sinnlos"
Peter Scholl-Latour nennt sieben Gründe, warum die BND-Affäre eine Finte ist
Peter Scholl-Latour

Die Spekulationen um eine angebliche Zusammenarbeit von BND-Agenten mit den Amerikanern zur Zeit des Irak-Krieges erhalten von Woche zu Woche neue Nahrung. Doch wenn man die Fakten überdenkt, wird klar, daß die Sache höchst dubios ist.

Erstens: Ich bin im Februar 2003, also wenige Wochen vor Beginn des Krieges, quer durch den Irak gereist, vom nördlichen Mossul über Bagdad, Kerbela bis Basra im Süden. Wir haben uns damals beinahe "die Augen aus dem Kopf gespäht", um irakische Verteidigungsvorbereitungen zu erkennen. Fehlanzeige, es waren keine vorhanden! Es gab nicht einmal Vorkehrungen, um die Brücken über Euphrat und Tigris zu sprengen. Wieso haben die Iraker keine Maßnahmen getroffen? War es, wie Rüstungsminister Mullah Huwaish mir gegenüber damals andeutete, weil man davon ausging, die USA würden wie schon 1991 nach einem entscheidenden Teilerfolg Halt machen? Oder hatte man ohnehin alle Illusionen verloren über die eigene Fähigkeit, die Amerikaner aufzuhalten, wie einer der irakischen Befehlshaber, General Sultan Haschem, über vertrauliche Kanäle sogar die Amerikaner wissen ließ?

Die Gründe für die irakische Passivität bleiben unklar. Sicher ist allerdings: Die Skizze, die jüngst von US-Seite als der von BND-Agenten an sie übergebene Verteidigungsplan ausgegeben wird, hatte keine Entsprechung in der Wirklichkeit und ist wohl ein reines Phantasieprodukt.

Zweitens: Man sollte wissen, daß schon zur Zeit des Krieges den Saddam Hussein gegen den Ajatollah Khomeini führte, eine BND-Residenz in Bagdad anwesend war. Dabei handelte es sich keineswegs um verdeckt operierende Agenten, sondern um einen offiziell akkreditierten Beamten, der mit Erlaubnis der irakischen Behörden Informationen sammelte. Zur Zeit des Iran-Irak-Krieges war der BND-Resident besser informiert als der damalige deutsche Botschafter im Land. Im Februar 2003 wechselte Pullach den bisherigen Residenten aus. Die beiden Neuen, um die es jetzt geht, waren damit einfach zu kurz im Land, um ausreichende Kenntnisse sammeln zu können, zudem sie nicht Arabisch sprachen. Ihr Vorgänger, den ich noch persönlich kennengelernt hatte, war ein umsichtiger Mann, der sich wohl strikt an seine Anweisungen hielt. - Zur Zeit verfügt wir mit Botschafter Bernd Erbel über einen Experten für den Irak und profunden Kenner des Orients.

Drittens: Betrachten wir die vorgelegte Skizze - dilettantisch und sinnlos! Die FAZ spricht treffend vom "Schneckenplan" à la Däniken. Die kreisrunden "Verteidigungsringe" entsprechen keiner topographischen Realität, und die Aufzählung angeblicher Kampfeinheiten läßt sich mit der Lupe als Hirngespinst entlarven.

Viertens: Die Amerikaner wären auf BND-Informationen gar nicht angewiesen gewesen. Im Gegensatz zu 1991 wurde Bagdad vergleichsweise schonend und sehr präzise bombardiert. Keine einzige Brücke hat die US-Luftwaffe in der Stadt zerstört, ebensowenig wie die angeblichen Machtzentren des Regimes.

Fünftens: Es ist völlig unglaubwürdig, wenn die Amerikaner heute behaupten, sie seien auf die beiden BND-Männer angewiesen gewesen. Die CIA hat mit Sicherheit auch schon vor dem Krieg über eine eigene nachrichtendienstliche Struktur in Bagdad verfügt. Dafür gab es in irakischer Armee und Geheimdiensten eine ausreichende Zahl Kollaborateure.

Sechstens: Sollte an der ganze Geschichte dennoch ein Körnchen Wahrheit sein, wäre es ein Schande, daß die CIA ihre treuen deutschen Helfer bloßgestellt, ja geradezu verraten hat.

Siebtens: Einige der Behauptungen haben sich bereits als falsch herausgestellt. So stimmt es nicht, wie anfänglich von US-Seite behauptet, daß die BND-Leute den Amerikanern Hinweise auf den Club gegeben haben, in dem sich Saddam Hussein aufgehalten hätte. Bekanntlich ist in North Carolina bei Fayetteville ein Zentrum installiert, das nur damit beschäftigt ist, Desinformationen zu produzieren. Man erinnere sich auch an Colin Powells Vortrag vor dem Weltsicherheitsrat über irakische Massenvernichtungswaffen, den er aufgrund der falschen Angaben als persönliche Schmach empfand.

Stellt sich die Frage, warum diese für die deutschen Behörden kompromittierenden Behauptungen gestreut wurden? Zumal die rot-grüne Koalition, die dafür verantwortlich wäre, nicht mehr im Amt ist. Soll Außenminister Steinmeier damit getroffen werden? Der Verdacht kommt auf, daß Deutschland in der arabischen und islamischen Welt als bedingungsloser Gehilfe der USA denunziert wurde, um die neue Regierung unter Merkel von Anfang an möglichst eng an der Seite der USA zu drängen und ihr die Möglichkeit zu eigenen Initiativen zu entziehen.

Die Situation, in der sich Deutschland befindet, ist wesentlich angespannter, als den meisten bewußt ist. Man bedenke, daß in Afghanistan - wo anders als im Irak unsere Truppen stehen - auch unter dem Einfluß einer solchen Kampagne die bislang recht deutschfreundliche Stimmung in Feindschaft umschlagen könnte und dadurch die Bundeswehr unberechenbaren Gefahren ausgesetzt wäre.

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, Journalist und Publizist, schrieb zuletzt in JF 45/05 zum Thema Iran den Beitrag "Gleichgewicht des Schreckens".

Foto: Laokoon-Gruppe 2006


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