© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Vergessene Märtyrer
Die Verfolgung von Christen in vielen Weltregionen trifft hierzulande auf Ignoranz
Peter Freitag

Wie kommt es, daß die Gewalttaten gegen Christen nicht hierzulande zu einem Aufschrei gegen die Täter und die, die sie unterstützen, anfeuern oder auch bloß ihre Taten verharmlosen, führen? Wie kommt es, daß antichristliche Ausschreitungen von hiesigen Medien allenfalls unter "ferner liefen" wahrgenommen werden?

Auf den ersten Blick könnte man es als ein den Gesetzen des Journalismus folgendes Phänomen abtun. Der Aufruhr, der sich in zahlreichen islamischen Ländern an den Mohammed-Karikaturen entzündet hatte, entlud sich an - säkularen - westlichen Symbolen und Einrichtungen: Flaggen und Konsulate europäischer Staaten gingen in Flammen auf, Menschen und Waren entsprechender Provenienz verfielen der Ächtung. Berichte und Bilder über die eskalierende Gewalt erreichten Tag für Tag die Zuschauer und Zeitungsleser.

Zwei unterschiedliche Reaktionen waren die Regel: zum einen die Äußerung, die Karikaturen hätten Tabus überschritten und religiöse Gefühle verletzt; die Empörung in den islamischen Staaten sei in der Form zu weit gegangen, im Prinzip aber nachvollziehbar. Zum anderen wurde die Sorge geäußert, hiesige Errungenschaften wie Meinungs- und Pressefreiheit würden durch die Proteste aufgebrachter Muslime bedroht und müßten entsprechend verteidigt werden. Westliche Werte sind aus dieser Sicht also vorrangig diejenigen weltlichen, die aus Aufklärung und Liberalismus abgeleitet werden; der Gegensatz zwischen Orient und Okzident besteht nach solcher Wahrnehmung nicht in der Gegnerschaft zwischen Islam und Christentum, sondern grundsätzlich zwischen einer mit Absolutheitsanspruch auftretenden Religion ("Fundamentalismus") und Glaubens-Freiheit (also Freiheit von jeglichem religiösen Glauben). Für die meisten Medien war damit der Sache Genüge getan, der Konflikt aufgezeigt, die Bedrohung vergegenwärtigt worden - und jedes tiefergehende Interesse erlahmt. Also bitte nicht noch mehr zum "Karikaturenstreit"!

Wesentlicher erscheint als Erklärung für das vielsagende Beschweigen die Tatsache zu sein, daß das Thema Christenverfolgung allgemein aus dem Bewußtsein des westlichen Kulturkreises und speziell in Deutschland verdrängt wurde. Das gilt sowohl für die historischen als auch für aktuelle Formen. Nicht allein die glückliche Fügung, daß Verfolgungen aufgrund des Glaubens bei uns nicht mehr an der Tagesordnung sind, trug dazu bei. Die Erinnerung an die Bedrängung der ersten christlichen Gemeinden ist kein großes Thema mehr in Gottesdienst oder Religionsunterricht, nicht zuletzt bestimmt durch die Sorge der Kirchenführungen, ansonsten anti-jüdische Ressentiments zu schüren. Die Political Correctness gebietet ebenso Einhalt gegen die Erinnerung an die Ausrottungsmaßnahmen der islamischen Türken an christlichen Armeniern und Assyrern.

Besonders gestört war auch die Wahrnehmung gerade kirchlicher Kreise angesichts der Repressalien, denen Christen im damaligen Ostblock ausgesetzt waren. Eine große Rolle spielte dabei jene unheilige Allianz, die nicht wenige Kirchenobere oder Theologen mit dem Sozialismus eingegangen sind. Die vermeintlichen Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und dieser atheistischen Ideologie führten dazu, daß gerade die sonst gegen jedes autoritäre westliche Regime (wie in lateinamerikanischen Staaten oder Südafrika) zu Felde ziehenden Pfarrer die Augen vor Menschenrechtsverletzungen und antichristlichen Maßnahmen real-sozialistischer Diktaturen verschlossen.

Die doppeldeutigen Reaktionen auf das Fanal, das der Zeitzer Pfarrer Oskar Brüsewitz 1976 mit seiner Selbstverbrennung aus Protest gegen die kirchenfeindliche DDR-Politik setzte, sprachen Bände: Die Demonstration sei als "Verzweiflungstat eines einzelnen" wahrzunehmen, reiche jedoch nicht aus, "das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR richtig zu erfassen", hieß es damals aus der Kanzlei der (westdeutschen) Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD).

Selbst manche moderne Darstellung zur Kirchengeschichte blendet Christenverfolgungen im 20. Jahrhundert mittlerweile aus, soweit es nicht ausdrücklich um Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen kirchliche Oppositionelle geht. Anders noch das 1954 erschienene Werk des Kirchenhistorikers Kurt Dietrich Schmidt, der feststellte, daß "es an so vielen Stellen der Erde und in solchem Ausmaß zu direkter blutiger Verfolgung" kam, daß "alle Verfolgungen aller Jahrhunderte dadurch weit überboten sind". Schmidt nannte als Beispiele für Verfolgungen schon damals zuerst "die Feindschaft des Islam", dann Kommunismus und Nationalsozialismus, aber auch den "Nationalismus nicht-christlicher Völker" (z.B. in China) und sogar den Liberalismus, der in Staaten wie Frankreich und Spanien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegen das Christentum und die Kirche vorgegangen war.

Eine weitere Erklärung für die mangelnde Wahrnehmung der Gewalttaten gegen Christen liegt im bei uns verbreiteten Phänomen der "Zivilbuße" (Hermann Lübbe). Damit ist jenes Ritual bezeichnet, mit dem sich Angehörige der "Deutungseliten" für die Verfehlungen und Untaten vergangener Generationen "entschuldigen". Dies betrifft nicht nur die spezielle deutsche Form der "Vergangenheitsbewältigung", sondern auch die (katholische) Kirche, deren höchster Repräsentant Vergebung für die Kreuzzüge erbat, ebenso wie andere westliche Staaten mit ihrer "Schuld" an Kolonialismus, Missionierung oder Sklavenhandel.

Ob im Nahen Osten oder in Afrika: Wo immer ein kultureller Bruchlinienkonflikt eskaliert, neigen zahlreiche Politiker und Kommentatoren dazu, die Schuld dafür in vergangenen Handlungen des Westens zu sehen. Dieses Erklärungsmuster kann dann auf das angewandt werden, was jenen widerfährt, die - ob zutreffend oder nicht - durch ihre Religionszughörigkeit als mit dem Westen verbündet gelten.

Während es jetzt verantwortlichen Kirchenführern dämmert, man könne es nicht hinnehmen, wenn aus Anlaß einiger Karikaturen "gewalttätige Kampagnen gemacht wurden, die im wachsenden Maß Christen und Kirchen treffen" (so der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber), haben gerade die westlichen Kirchen lange Zeit in dem von ihnen betriebenen "interreligiösen Dialog" zuviel eigenes Terrain preisgegeben. Aus Angst, anderenfalls weitere Eskalationen hervorzurufen, wurde zu lange beschwichtigt, wo deutliche Worte gegen aktuelles Unrecht nötig gewesen wären. Wenn heute Kirchen brennen, Priester und Gläubige ermordet werden, sind nicht die Kreuzzüge schuld, sondern der Mob, der diese Taten begeht, und die Regierungen, die solches nicht verhindern.


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