© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

Reemtsmas Vorgabe nachgekommen
Auch der Katalog zur Ausstellung "Größte Härte - Verbrechen der Wehrmacht in Polen 1939" vermengt Wissenschaft mit Propaganda
Stefan Scheil

Die Debatte um angebliche und wirkliche "Verbrechen der Wehrmacht" forderte in den letzten Jahren manche Verluste. Zu den in Deutschland weniger beachteten Verlierern zählte dabei das polnische Selbstwertgefühl. Wenn schon vom "Vernichtungskrieg" der deutschen Wehrmacht die Rede sein sollte, dann gab es aus der Perspektive Warschauer Geschichtspolitik keinen Weg daran vorbei, daß Polen selbst zeitlich wie qualitativ die Rolle als das erste Opfer dieses Krieges gebührte.

Da das Reemtsmasche "Institut für Sozialforschung" aber trotz energischen Interventionsversuchen nicht bereit war, ein polnisches Kapitel in seine "Wehrmachtsausstellungen" mit aufzunehmen, entschloß man sich in Warschau, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen. In Zusammenarbeit zwischen dem polnischen "Institut des Nationalen Gedenkens" und dem "Deutschen Historischen Institut" in Warschau konzipiert und unter ausdrücklichem Hinweis, man wolle Jan Philipp Reemtsmas versäumte Anklagen nachholen, zieht nun also seit dem Frühjahr 2005 eine weitere Wehrmachtsausstellung ihre Kreise in Deutschland (JF 40-05). Bis zum 19. März ist sie noch im Rastatter Schloß zu sehen, um dann nach Wien weiterzuziehen.

Dem Vorbild gemäß, fehlt es auch im Katalog zu dieser Ausstellung nicht an ebenso starken wie offenkundig hanebüchenen Anschuldigungen. "Völkermord" einzelner Einheiten steht im Raum. Es wird der Eindruck erweckt, als sei ernsthaft die dauerhafte Internierung aller wehrfähigen polnischen Männer geplant gewesen. Massenhafte Erschießungen polnischer Kriegsgefangener durch Wehrmachtseinheiten werden behauptet. Von Terror gegen polnische Zivilisten ist die Rede, wobei auch Bromberg als Tatort genannt wird. Historische Zusammenhänge werden häufig ausgeblendet, Archivmaterial nur verkürzt wiedergegeben. Zugleich werden mehrere aus Zeiten des Kalten Krieges stammende Anklagen sorglos wiedergegeben und zum Teil sogar verschärft. Auf einer anonymen Anschuldigung basiert etwa die aus den 1950er Jahren stammende Behauptung des Konsulats der Volksrepublik Polen, es seien als größtes deutsches Einzelkriegsverbrechen bei Ciepielow dreihundert polnische Kriegsgefangene erschossen worden. Ein unabhängiger Beleg dafür hat sich niemals finden lassen, ein Gerichtsverfahren kam 1971 außerdem ausdrücklich zum Ergebnis, die polnischen Toten am Ort seien während eines Feuergefechts gefallen.

Offene Widersprüche und einseitige Schuldzuweisungen

Eine verbrecherische Tendenz weist der Ausstellungskatalog dem deutschen Luftkrieg zu. Die Entscheidung, einen offenbar angedachten Großangriff auf Warschau bei Kriegsbeginn nicht durchzuführen, dient der Ausstellungsleitung als Stütze für die Behauptung, zum Ausgleich dafür hätten an Hunderten anderen Orten Terrorangriffe stattgefunden. Neben dem bereits bekannten Fall Wielun (JF 40/04) dient hier die zentralpolnische Kleinstadt Frampol als besonderes Beispiel und weiteres "polnisches Guernica". Auch dies ist eine Geschichte aus dem Kalten Krieg. Die Ost-Berliner Zeitschrift Freie Welt behauptete 1965, dort hätte ein Experimentalangriff der Luftwaffe zum Testen von Bomben stattgefunden. Ein militärischer Anlaß sei nicht erkennbar gewesen, so das Blatt, obwohl die Freie Welt immerhin ehrlicherweise zugab, der Angriff habe stattgefunden, als die Stadt im Frontgebiet lag. Der Ausstellungskatalog streitet dies ab. Mit keinem Wort werden die polnische Truppenpräsenz oder die Frontlage der Stadt erwähnt, als sie am 13. September 1939 angegriffen wurde.

So nimmt man diese Veranstaltung und den Katalog mit dem Gefühl zur Kenntnis, einen Blick in eine Werkstatt staatlich geförderter Geschichtsfälschung getan zu haben. Ob sich ohne entsprechenden Willen in einer vergleichsweise überschaubaren Veranstaltung eine derartige Zahl an Fehlern und fragwürdiger Polemik einbauen ließe, muß angesichts der vorhandenen Sachkenntnis der Verantwortlichen bezweifelt werden. Natürlich werden - um den Unrechtscharakter der Wehrmacht nicht etwa zu "relativieren" - alle Verweise auf polnische Kriegsverbrechen, unter denen besonders die deutschen Minderheit in Polen zu leiden hatte ("Bromberger Blutsonntag", der allerdings auch für andere Verbrechen als die vom 3. September in Bromberg steht) ausgeblendet. Daß es sich hierbei keineswegs nur um reine NS-Propaganda handelt, wie heute nicht selten kolportiert wird, beweisen zum Beispiel Untergrundberichte der Sozialdemokratie. Diese meldeten 1939, die Schilderungen heimkehrender deutscher Soldaten hätten alles übertroffen, was von der deutschen Presse über polnische Verbrechen berichtet worden sei. Auch vor diesem Hintergrund werfen die mit wenig offenem Widerspruch hingenommenen, einseitigen Schuldzuweisungen an die Wehrmacht ein fahles Licht auf die Qualitätskontrolle innerhalb der deutschen Historikerzunft. Deren Ruf zählt ebenfalls zu den Geschädigten der letzten Jahre.

Deutsches Historisches Institut Warschau (Hrsg.): Größte Härte - Verbrechen der Wehrmacht in Polen September, Oktober 1939. Fibre Verlag, Osnabrück 2005, 145 Seiten, broschiert, Abbildungen, 24 Euro


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