© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

Nichts ist mehr so, wie es war
Türkei: Das einst enge Verhältnis zu den USA hat sich merklich abgekühlt / Streit um Irak und Kurdenfrage hält an
Günther Deschner

Hör zu, Türke", sagt der Amerikaner Sam. "Ich kenne euch gut. Wir haben euch fünfzig Jahre lang Geld in den Rachen gestopft. Und jetzt seid ihr beleidigt, weil wir euch nicht mehr brauchen." In diesem Satz aus dem türkischen Kino-Knüller "Tal der Wölfe" (JF 9/06) steckt viel von dem, was die USA und die Türkei seit dem Beginn des Irakkrieges 2003 in ihrem Verhältnis zueinander verunsichert. "Ich bin ein Türke", erwidert der Held des Films Sam lapidar - als würde allein der verletzte Stolz alles erklären.

"Ne mutlu türküm diyene! Wie erhaben ist es, zu sagen: Ich bin ein Türke!" Dieser Kernsatz des Republikgründers Kemal Atatürk ist das Credo der türkischen Nation. Schon die ABC-Schützen sagen den Slogan im Sprechchor auf, und im Osten der Türkei, vor allem dort wo die Kurden leben, prangt er wie überdimensionale Transparente, "geschrieben" aus weiß bemalten Steinen, an den Hängen der Berge.

Kurden-Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen

Die türkische Enttäuschung speist sich aus der Überzeugung, daß zwischen Ankara und Washington nichts mehr so ist wie "früher", als die Türkei in der US-Sicherheitspolitik der "Wächter am Bosporus" war, ein Eckpfeiler der Nato und der militärischen Einkreisung der Sowjetunion. Selbst Militärputsche, die grausame Unterdrückung von Millionen Kurden und andauernde Menschenrechtsverletzungen wurden von Washington hingenommen, um den damals wichtigen Partner bei Laune zu halten.

Daß die USA sich auf einmal über all das hinwegsetzen, was früher einmal war, führt zu einer negativen Wahrnehmung des einst engsten Verbündeten. Für die politischen Bewegungen mit dem stärksten Zulauf, für Islamisten und Nationalisten, gilt inzwischen als ausgemacht: "Im Westen liegt der Untergang der Türkei."

Die türkische Enttäuschung macht sich an einem Vorfall vom Sommer 2003 fest, der auch die erste Szene im "Tal der Wölfe" ist: Eine US-Einheit hatte im gerade besetzten irakischen Kurdistan ein türkisches Sonderkommando festgesetzt, das in den Irak eingesickert war, um mißliebige Kurdenpolitiker zu liquidieren. Der bei US-Soldaten verbreitete Modus operandi, Gefangene zu erniedrigen, sie mit Kabelbindern zu fesseln und ihnen Säcke über die Köpfe zu stülpen, läßt die türkische Volksseele bis heute kochen. Daß sich darin auch der US-Zorn über die Entscheidung Ankaras spiegelte, ihnen für ihren Irakkrieg das Durchmarsch- und Stationierungsrecht zu verweigern, bleibt in der türkischen Betrachtung meist unerwähnt.

Der nur oberflächlich beigelegte Interessenkonflikt zwischen Washington und Ankara entzündet sich am langfristigen Status der irakischen Kurden. Die sich aus dem Krieg ergebende Befreiung Kurdistans aus den Fesseln des Bagdader Zentralismus hat einen Keil zwischen die USA und die Türkei getrieben. Ausschließen kann man nicht, daß die USA an einem größeren kurdischen Partner ebensoviel Interesse zeigen könnten wie an der für sie unberechenbar gewordenen Türkei. Die Bemerkung von Paul Wolfowitz, die Türkei habe mit ihrem Nein "einen sehr großen Fehler" begangen, den sie "sicher bald bereuen" werde, wurde von kurdischen Ohren genauer registriert als von türkischen.

Im Irakkrieg sieht die Türkei vor allem eine Stärkung des ihr unheimlichen kurdischen Unabhängigkeitsbestrebens. Ein weiterer wunder Punkt ist die Untätigkeit der USA gegenüber der PKK, die Tausende Kämpfer im Irak "geparkt" hat und angeblich von dort aus Anschläge in der Türkei organisiert.

Vor allem verlangt man von den USA, eine noch weiter gehende kurdische Unabhängigkeit im Irak und eine kurdische Kontrolle über die Ölmetropole Kirkuk zu verhindern. Sehr unruhig wurde Ankara deswegen, als Kurdenführer Masud Barsani 2005 als "Präsident der Autonomen Region Kurdistan" nach Washington eingeladen worden war. Die Chargé d' Affaires der US-Botschaft wurde deswegen ins türkische Außenministerium einbestellt, um zu erklären, "als wessen Präsident" man Barsani im Weißen Haus empfangen hatte.

Neue US-Stützpunkte und Investitionen in Kurdistan

Es kann gut sein, daß die US-Treueschwüre gegenüber den Kurden diesmal ernst gemeint sind. Während der Rest des Irak zusehends tiefer ins Chaos sinkt, herrscht in den Kurdengebieten relative Sicherheit. Die Wirtschaft wächst und immer mehr Firmen aus aller Welt, vor allem US-amerikanische, entscheiden sich für Investitionen in Kurdistan.

"Nirgendwo auf der Welt sind die USA derzeit so beliebt wie in Kurdistan", schwärmte jüngst der US-Nahostkenner Michael Totton. In der Region ist es ein offenes Geheimnis, daß die US-Streitkräfte in der "Autonomen Region Kurdistan" mit Hochdruck Flughäfen und Stützpunkte ausbauen. Sie würden den USA, sollten sich ihre anhaltenden Mißerfolge bei der "Befriedung" des Irak fortsetzen, jederzeit erlauben, den neu gewonnenen kurdischen Freund auch als militärischen Verbündeten wahrzunehmen.

Dazu passen die Meldungen aus dem US-Verteidigungsministerium, die Türkei habe 2005 dringende Bitten des Pentagon auf die erweiterte Nutzung türkischer Militäreinrichtungen erneut abgelehnt. "Deswegen", so das US-Magazin Insight, "wird sich das Pentagon anderswo in der Region um Stationierungsmöglichkeiten bemühen". Ab 2008 würden die US-Streitkräfte in der Türkei wahrscheinlich nur noch eine "symbolische" Präsenz unterhalten.

Doch wenn das türkisch-amerikanische Verhältnis auch abgekühlt ist, weiß man doch auf beiden Seiten, daß man bis auf weiteres aufeinander angewiesen ist. Als regionale Großmacht, als islamisches und gleichzeitig säkular verfaßtes Land spielt die Türkei eine nicht zu unterschätzende Rolle im laufenden Transformationsprozeß des Nahen und Mittleren Ostens. Das Dilemma liegt darin, daß sie diesem Prozeß auch selbst unterworfen ist. Sie sitzt in der Klemme - in der Zwickmühle zwischen Islam und dem Westen. Spätestens seit dem Ende des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik ist die Türkei ein "Schwellenland" - in einer Welt, die sich immer stärker polarisiert: Hier "westlich", da "islamisch" - dieser Spagat ist derzeit das Dilemma der türkischen Regierungspartei AKP und ihres Vorsitzenden Recep Tayyip Erdogan.

Es ist deswegen keineswegs überraschend, daß die AKP neuerdings auch mit der radikalislamisch-palästinensischen Hamas spricht, der Geheimdienst MIT mit Kurdenführer Barsani und der türkische Energieminister Hilmi Güler mit den Amerikanern und den Ölpolitikern in Irakisch-Kurdistan. Auch von den USA wird die Türkei - trotz allen Ärgers - wegen ihrer Rolle als Transitland für Öl und Gas aus dem Kaspischen Meer hofiert. "Nichts ist mehr so, wie es war", schreibt die türkische New Anatolian versöhnlich, "aber wir können voneinander nicht lassen".


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