© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

PRO&CONTRA
Ist die Lehrerpolemik gerechtfertigt?
Naomi Braun-Ferenczi / Günter Behre

Das "Lehrerhasserbuch" war längst überfällig, legt es doch den Finger in die Wunde des maroden deutschen Schulsystems. Die ob der Lehrerkarikatur beleidigt aufschreienden Pauker bestätigen nur, daß etwas faul ist in jenem Berufsstande, dem wir allzu sorglos unsere Kinder überlassen. Doch warum bekommt das frühere Land der Dichter, Denker und Nobelpreisträger so miserable Pisa-Noten und muß sich nun sogar von einem Uno-Inspektor die Leviten lesen lassen? Die Gründe liegen weniger beim staatlichen Dreiklassenschulsystem, sondern vielmehr daran, daß die meisten Lehrer ihren Beruf verfehlt haben. Die 68er Reformpädagogen in den Bildungsbürokratien haben die Leistungsstandards systematisch heruntergeschraubt. Zudem zieht der Lehrerberuf vor allem Leute an, die auf den Beamtenstatus schielen: üppiges Gehalt, Karriere als Alterserscheinung, viel Ferien und Freizeit, Frühpensionierung wegen Burnout-Syndrom, lebenslange Absicherung, absoluter Kündigungsschutz. Und trotzdem brennen viele Lehrer tatsächlich aus, weil sie schnell merken, daß sie nichts Wertvolles leisten und nur sich und die Schüler unglücklich machen. Sie werden zu zynischen Griesgramen, oder können zum Teil - zumindest tendenziell - eine sadistische oder gar pädophile Ader ausleben. Solche Kollegen wiederum schrecken pädagogische Naturbegabungen davon ab, den Lehrerberuf zu ergreifen.

Daher ist es dringend erforderlich, daß Lehrer nach Leistung bezahlt und gekündigt werden können. Das wiederum erfordert innerschulischen Wettbewerb, die Aufhebung des schulischen Gebietsschutzes und die Legalisierung von Heimunterricht. Eine Aufhebung des Beamtenstatus für Lehrer und eine Privatisierung aller Schulen wäre der effektivste Weg, um zu vermeiden, daß unsere Kinder weiterhin in der wichtigsten Zeit ihres Lebens auf die schiefe Bildungsbahn geraten.

Naomi Braun-Ferenczi ist Juristin und freie Journalistin. Sie lebt in Bonn und Budapest.

 

 

Das "Lehrerhasserbuch" von Gerlinde Unverzagt ist eine reine Polemik, deren Tenor sich vor allem gegen den Berufsstand der Lehrer und Lehrerinnen richtet. Es verteilt ungerechtfertigt Rundumschläge, das ist das wirklich Tragische an diesem Buch. Denn die Kinder, die täglich eine Schule besuchen, tun dies in aller Regel gern, sie freuen sich morgens auf ihre Klassenkameraden und auch auf ihre Lehrer und Lehrerinnen. Sie befinden sich in der Entwicklung und benötigen eine gewisse Stabilität, welche ihnen die Gesellschaft immer schwerer bieten kann. Ein Buch, das eine ganze Berufsgruppe derart verunglimpft, schadet am allermeisten den Kindern. Die Kollegen und Kolleginnen werden pauschal beleidigt. Was sie gerade für ihre pädagogische Arbeit am wenigsten brauchen können, ist eine weitere Verunsicherung der Kinder aufgrund solcher Medienhetze. Tag für Tag leisten unsere Kollegen hauptsächlich erzieherische Arbeit. Sie beraten die Eltern, wenn in der Pubertät der Haussegen schiefhängt oder der Schulabschluß gefährdet scheint. Die Wirklichkeit besteht aus unendlich vielen Einzelgesprächen, Telefonaten und erzieherischer Arbeit, die unseren Kindern helfen sollen, das Leben zu meistern. Ein Leben, das häufig, bedingt durch die Situation der Eltern, schon schwierig genug geworden ist. Dieser empfindliche Erziehungsprozeß benötigt vor allem eines: Vertrauen. Vertrauen des Kindes in die Personen, die es Tag für Tag um sich hat - die Eltern und die Lehrer. Gerade in Zeiten, die den Verlust der Werte und Normen erkennen lassen, ist eine gewisse Stabilität, ist Vertrauen ein unschätzbares Gut. Das "Lehrerhasserbuch" leistet dazu keinen konstruktiven Beitrag, es ist eine Auftragsarbeit zur Brunnenvergiftung. Die Lehrer werden über diesen unverzagten Unfug hinwegkommen, aber die Kinder werden orientierungsloser sein, anstatt sicherer zu werden.

Günter Behre ist Rektor der Haupt- und Realschule Friesenheim. Er äußerte sich im Magazin Stern-TV (08.02.) zum "Lehrerhasserbuch".


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