© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Mittelstand auf der Freßliste
Zwei Bücher widmen sich der Frage, wie die mittelständische Wirtschaft in einer globalisierten Welt bestehen kann
Christian Bayer

Kaum ein anderer Begriff des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens ist mit so unterschiedlichen Emotionen besetzt wie jener der Globalisierung. Er umfaßt die Angst des Arbeiters vor dem Verlust des Arbeitsplatzes genauso wie die altlinken Sehnsuchtsträume nach einer multi-kulturellen Gesellschaft und den Allmachtswahn der Investmentbanker. Ähnlich facettenreich ist der Begriff "Mittelstand". Definieren läßt er sich nicht über die Größe des Unternehmens, sondern über die Strukturen der Verantwortung. Die Leistungsträger des Mittelstandes tragen die Konsequenzen ihres wirtschaftlichen Handelns - im Gegensatz zu den angestellten Spitzen der großen Unternehmen, die trotz Fehlleistungen mit goldenen Handschlägen verabschiedet werden.

Obwohl meist unter ökonomischen Aspekten thematisiert, ist Globalisierung weiter zu fassen. Zu Recht definieren Eberhard Hamer, Leiter des Mittelstandsinstitutes Niedersachsen, und Eike Hamer die Globalisierung als "technologische, politische, gesellschaftliche, kulturelle und militärische Weltentwicklung". Beide fungieren als Herausgeber des Sammelbandes "Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?" sowie als Autoren eines Großteils der dort edierten Artikel. Anders als der Titel des Buches nahelegt, geht die Spannbreite der Beiträge über die Folgen der Globalisierung für den Mittelstand hinaus und behandelt unter anderem auch geostrategische Fragen.

Auswirkungen der Globalisierung sind auch Thema eines Buches des iranisches Religionswissenschaftlers und Unternehmers Huschmand Sabet. In "Globale Maßlosigkeit - Der (un)aufhaltsame Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes" versucht sich der Autor neben einer Bestandsaufnahme der Erosion des Mittelstandes an einem religiös und philosophisch fundierten Gegenentwurf. Ganz vorne in der Riege der Schuldigen stehen bei Sabet die Investmentbanker und Hedge-Fonds-Manager. Die fast harmlosen Münteferingschen Heuschrecken mutieren bei Sabet zu Investorpartisanen: "Das sind Superreiche, die keine innere Bindung zu einem Unternehmen im klassischen Sinn aufweisen - weder als Produzent noch im Handel oder Dienstleistungsgewerbe." Leider mangelt es bereits der Analyse des Autors an einer präzisen Begrifflichkeit. Sabet will sich der "angespannten Situation des Weltmittelstandes und exemplarisch auch dem gewerblichen Mittelstand in Deutschland zuwenden". Genausowenig wie es weltweit gleich geartete Folgen der Globalisierung gibt, gibt es einen Weltmittelstand. Der Autor berücksichtigt nicht, daß durch Globalisierung in Schwellenländern Mittelstand erst entsteht, während der Mittelstand in den entwickelten Volkswirtschaften in seiner Existenz bedroht ist. Wichtige Versäumnisse der Politiker in den entwickelten Volkswirtschaften werden nicht thematisiert. Wenn mit Wissen und Wollen der politischen Klasse national erwirtschaftete Sozialsysteme den Mühseligen und Beladenen der ganzen Welt zur Verfügung gestellt werden, sind diese Systeme zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.

Lösungsansätze sieht Sabet in einer Art globalen Marshallplan. "Sinn und Inhalt des globalen Marshallplans ist die ökonomische und ökologische Befriedung unserer Heimat, der Erde. Einerseits muß Armut, Mangel an Hygiene und Bildung sowie eine bessere Gesundheitsvorsorge aufgebaut werden." Wer wollte dem widersprechen? Allerdings fehlt Sabet der Ansatz zu einer praktikablen Umsetzung. Ins Utopische geraten seine Ausführungen zum internationalen Religionsfrieden: "eine globale, von Frieden und Solidarität geprägte Wirtschaftsordnung ist ohne einen Religionsfrieden nicht erreichbar." Momentan sind wir davon weiter denn je entfernt. Und es steht zu befürchten, daß wir uns diesem Ziel auch nicht nähern, solange das christlich geprägte Europa den Unterschied zwischen Toleranz und Indifferenz noch nicht begriffen hat und Frieden mit Kapitulation verwechselt.

Obwohl religiös-kulturelle Dimensionen in Hamers Sammelband ausgeklammert sind, gelingt im Vergleich mit Sabet in den meisten Aufsätzen eine facettenreichere und präzisere Bestandsaufnahme. Wesentliche Probleme sieht Hamer in der mangelnden Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen: "Die mit der Globalisierung einhergehende Zentralisierung der politischen Macht hat also in den vergangenen dreißig Jahren die Demokratie bei uns und vielen anderen Staaten weitgehend ausgehöhlt, nämlich die Staaten entstaatlicht, die Völker 'multikultiviert', die Parlamente entmachtet, den Staaten immer mehr Souveränitäts- und Hoheitsrechte entzogen."

In ihrem den Band abschließenden Aufsatz konzentrieren sich Eberhard und Eike Hamer auf politische und ökonomische Korrekturen. Diese können in der Schaffung transparenter Strukturen sowie einer realen Beteiligung der von der Globalisierung betroffenen Bürger bestehen. Bleibt nur zu hoffen, daß die Machtverhältnisse, die sich zugunsten eines unkontrollierten Agierens der Hochfinanz entwickelt haben, noch umkehrbar sind.

Eike und Eberhard Hamer (Hrsg.): Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen? Aton Verlag, Unna 2005, 339, gebunden, 29,90

Huschmand Sabet: Globale Maßlosigkeit. Der (un)aufhaltsame Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes. Patmos Verlag, Düsseldorf 2005, 224, gebunden, 14,90 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen