© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

CD: Klassik
Porcheria tedesca
Andreas Strittmatter

Die zu Gebot stehende "Produktionszeit" der Oper war denkbar kurz bemessen und der Komponist ohnehin nur die zweite Wahl. Diesen - angelegentlich nicht von bester Gesundheit - raffte unter der Arbeit ein Fieber aufs Krankenlager, so daß ein drittklassiger Kollege damit beschäftigt wurde, die meisten der Rezitative zu vertonen. Die Prager Premiere am 6. September 1791 geriet eher zum Reinfall. Wenngleich das Werk in den Reprisen beim Publikum zunehmend Anklang fand und auch andernorts nachgespielt wurde, verschwand es für längere Zeit in der Versenkung.

Und da würde es - ähnlich wie etwa das Gros der Werke von Antonio Salieri - vermutlich bis heute verstauben, wäre es nicht Wolfgang Amadeus Mozart gewesen, der zur Krönung Kaiser Leopolds II. zum böhmischen König die Opera Seria "La Clemenza di Tito" (Handlung: Der römische Kaiser Titus begnadigt alles und jeden) lieferte. Salieri wäre dem Prager Impresario Domenico Guardasoni als Lieferant dieser Festoper übrigens lieber gewesen, doch der wichtigste Komponist am Wiener Hof lehnte den Auftrag ab. Ob ein "Titus" des musikalisch traditionsbewußteren Salieri bei der kaiserlichen Gattin Maria Luise mehr Gnade gefunden hätte? Nach höchstherrschaftlichem Gusto war der Beitrag Mozarts, der mit dem streng auf Arien fixierten Ideal der ernsten (Seria-) Oper und damit mit deren Stilhöhe brach, eine "porcheria tedesca" - eine deutsche Schweinerei, durchsetzt mit musikalischen Formen, die sonst in heiteren Buffo-Opern und in populären deutschen Singspielen heimisch waren.

Der muntere Wechsel von Arien, Rezitativen, Duetten, Terzetten und Chören kommt der neuen Einspielung von "La Clemenza di Tito" unter Sir Charles Mackerras freilich entgegen. Denn obwohl unter Begleitung des Scottish Chamber Orchestra größtenteils hinreißend gesungen wird und die Aufnahme zudem mit dem wunderbaren Mezzo von Magdalena Kozená in der Rolle des Sesto punkten kann, wirft die Besetzung ein Problem auf: Die vier Frauenstimmen, die - teils in Hosenrollen - diese Oper über weite Teile bestreiten, sind sich in ihrem jeweiligen Timbre allzu ähnlich. Trotz aller Probleme, die man heute mit dem vokalen "Klassizismus" (der in Wirklichkeit ein unhistorischen Purismus war) haben mag, der sich nach dem Krieg im sogenannten Wiener Mozart-Ensemble artikulierte und lange Zeit Bühne und Platte beherrschte, greift man in diesem Punkt daher gerne auf die von Karl Böhm verantworteten Einspielung aus dem Jahr 1979 zurück. Denn hier trägt beispielswegen der dunkel timbrierte Mezzosopran von Teresa Berganza der stimmlichen Dramaturgie des "Titus" jene opalisierende Farbe bei, die Kozenás Sesto trotz technischer Bravour und intensiver stimmlicher Einfühlung in den Rollencharakter fehlt. Daß in der neuen Einspielung die einzige männliche Hauptpartie, ebenjener römische Kaiser, mit Rainer Trost besetzt ist, mag ob der allzu oft gequetschten Tonbildung dieses mit enger Stimme singenden Tenors auch nicht wirklich trösten. Doch immerhin ist der Sänger noch die bessere Wahl als Philip Langridge, der den Titus in der von Nicolaus Harnoncourt betreuten Aufnahme mehr exekutiert als singt.

Sir Charles Mackerras schlägt sich teils stürmisch, teils feinfühlig durch die Partitur und exponiert dabei die fanfarenartige Marscheinleitung der Ouvertüre fast als Ideendrama über die Frage, ob sich Urteilskraft eher von Milde oder von Strenge leiten lassen sollte. Die Antwort in Mozarts Oper ist eindeutig, und so mag auch die Kritik - cum grano salis - kaum kaiserlicher als der Kaiser sein und diese Aufnahme trotz erwähnter Schwächen insgesamt empfehlen.


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