© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Laura und die Versöhnungselite
Geschichtspolitik: Politiker und Jugendliche diskutieren über die Perspektiven deutsch-polnischer Erinnerungsarbeit
Marcus Schmidt

Plötzlich ist das Gesicht der Studentin aus München genauso rot wie ihre gefärbten Haare. Etwas verlegen lächelt Laura den neben ihr auf dem Podium sitzenden Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker an. Laura, so wird die Studentin von allen hier genannt, hat soeben einen Begriff geprägt: den der Versöhnungselite.

Die junge Studentin gehörte zu einer Gruppe von Jugendlichen aus Deutschland und Polen, die in der vergangenen Woche auf Einladung der Stiftung Genshagen über das Thema "Erinnerung im Dialog" sinnierten. Ihren Abschluß fand die "Jugendwerkstatt" zur Erinnerungspolitik in einer prominent besetzten Tagung, zu der neben dem Altbundespräsidenten unter anderem auch der ehemalige polnische Außenminister und Europaabgeordnete Bronislaw Geremek sowie der Bundestagsabgeordnete Markus Meckel (SPD) angereist waren.

Obwohl das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen, mit dem an das Schicksal von Millionen Heimatvertriebenen erinnert werden soll, nicht auf der Tagesordnung stand und obwohl kein Vertreter des Bundes der Vertriebenen in das Schloß nahe Berlin geladen war - geschweige denn ein Vertreter der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" -, lag die Auseinandersetzung um die Einrichtung wie ein Schatten über der Veranstaltung.

Bereits zu Beginn der Tagung hatte in Vertretung von Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) sein Abteilungsleiter Hermann Schäfer den Kurs der Bundesregierung deutlich gemacht. Zwar zitierte er den Passus aus dem Koalitionsvertrag, der von einem "sichtbaren Zeichen" der Erinnerung an Flucht und Vertreibung in Berlin spricht, doch dürfte seine Rede die Anwesenden, von denen sich niemand für das Zentrum gegen Vertreibungen aussprach, zufriedengestellt haben. Schäfer legte die Latte für das "sichtbare Zeichen" sehr hoch: Ziel sei es, eine "für alle Beteiligten und Betroffenen" angemessene und würdige Lösung im "europäischen Rahmen" zu finden. "Hunderttausende" seien durch Flucht und Vertreibung ums Leben gekommen, aber das "fürchterliche Schicksal" der deutschen Flüchtlinge und Vertrieben sei "nicht singulär" in der Geschichte des 20. Jahrhunderts gewesen. Die Vertriebenen seien Opfer, doch ohne den von Hitler entfesselten Vernichtungskrieg, der mit "brutaler Konsequenz" zurückgeschlagen sei, wäre es nicht zu Flucht und Vertreibung gekommen. Kein Zweifel könne daran bestehen, "daß es nicht um die unhistorische und unredliche Aufrechnung von Verlustzahlen gehen kann". Deutlich sprach sich Schäfer für das von Rot-Grün als bewußtes Gegenstück zum Zentrum beförderte "Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität" (JF 06/05) aus, das es sich zur Aufgabe gemacht habe, "Vertreibung und Zwangsmigration im Kontext der Geschichte Europas historisch aufzuarbeiten" - und, so muß hinzugefügt werden, bewußt darauf verzichtet, diese Ziele in seinem Namen zu führen.

Bei Markus Meckel lief er mit seinem Plädoyer offene Türen ein. Der deutsche Volksvertreter versuchte gar nicht erst seine Freude über den stockenden Fortgang des Zentrums zu verbergen. "Es ist ein Erfolg, daß es kein Zentrum gegen Vertreibungen gibt, das haben wir geschafft", sagte Meckel und dürfte mit dem "Wir" nicht nur Ex-Außenminister Geremek auf seiner Seite gewußt haben. Doch auch das Netzwerk will Meckel mit diesem Thema nicht unnötig belasten, schließlich sei die Vertreibung "wahrhaftig nicht das wichtigste Thema des 20. Jahrhunderts", sagte er und wies der Einrichtung gleich einen ganzen Strauß anderer Aufgaben zu. Er riet Deutschen und Polen, sich mit Hilfe des Netzwerkes lieber an die positiven Seiten der Geschichte zu erinnern, etwa "an den Posener Aufstand von 1956" oder an "25 Jahre Solidarnosc". Überhaupt sei es beim Thema Vertreibung nicht wichtig, wer Täter und wer Opfer war, sondern ob die Vertreibung ein legitimes Mittel ist, redete er einer Entsorgung der Erinnerung das Wort.

Auf diesem Fundament konnte Irena Lipowicz, Vertreterin des polnischen Außenministers für Deutsch-Polnische Beziehungen, gut aufbauen. Sie warnte mit Blick auf das Zentrum davor, "ein Stück aus dem Zweiten Weltkrieg herauszupräparieren", es dürfe nicht nur ein Teil der Geschichte erzählt werden. Das Zentrum würde ihrer Ansicht nach zwar Wahrheit, aber eben nicht die ganze Wahrheit abbilden. Sie griff statt dessen den Vorschlag des polnischen Rechtsanwalts Stefan Hambura auf (JF 06/06), im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloß eine Gedenkstätte für das "polnische Martyrium" im Zweiten Weltkrieg einzurichten. Lipowicz sagte, mit einem solchen Museum hätte sie "kein Problem" - wenn daran polnische Historiker beteiligt würden.

Ein Problem könnten allerdings die Deutschen bekommen, wenn sie starrsinnig an dem Zentrum festhalten würden, ließ sich aus ihren Worten entnehmen. Unverhohlen drohte Lipowicz damit, daß in diesem Fall auch andere Nationen einen "Tempel für nationales Leid" einfordern würden. Das wolle sie natürlich nicht, denn es wäre nicht gut, wenn Berlin mit Mahnmalen gepflastert würde. Aber dies könnten die Deutschen ja durch den Verzicht aufs Zentrum gegen Vertreibungen verhindern.

In dieser Atmosphäre, in der von den deutschen Tagungsteilnehmern kaum ein Widerspruch gegen die polnischen Positionen zu vernehmen war, war es für die Studentin Laura Hölzlwimmer ein leichtes, sich und ihre jugendlichen Mitstreiter zur Elite auszurufen. Unbeantwortet blieb die Frage, wie tief eine Versöhnung reicht, die auf einem solch einseitigen - polnischen - Fundament ruht. Laura und die Versöhnungselite werden es eines Tages ergründen.

Schloß Genshagen bei Berlin: Über das Zentrum gegen Vertreibungen wurde in Abwesenheit gerichtet Foto: Picture-Alliance/ZB


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