© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

David Irving
Der Dissident
von Doris Neujahr

Als Mann der provokanten Thesen wurde der Historiker David Irving bekannt. Wegen der Behauptung, der Holocaust habe nicht oder nicht in der behaupteten Weise stattgefunden, wird ihm am 20. Februar in Wien der Prozeß gemacht (JF 48/05). Die inkriminierten Äußerungen sind vor über 16 Jahren gefallen. Aus der Gefängniszelle heraus hat Irving widerrufen und sich zur Existenz der Gaskammern bekannt.

Vom Naturell her ist Irving, der 1938 in Brentwood/ Sussex als Sohn eines englischen Marineoffiziers geboren wurde, der klassische Dissident. Am Anfang stand der Schmerz über den Weltkrieg, der Deutschland zerstörte und den England nicht gewann. Die besten seiner zahlreichen Bücher sind Versuche, mit der Unbefangenheit des Autodidakten ein tragisches, gesamteuropäisches Geschichtsgefühl zu formulieren. Irving scheute sich nicht, die Familien ehemaliger NS-Größe aufzusuchen und von ihnen kistenweise Archivmaterial zu erwerben. Die Historikerzunft nennt ihn deswegen ein "Trüffelschwein". Nur hinter vorgehaltener Hand gibt sie zu, daß ihre empirische Basis ohne Irving viel schmaler wäre. Seine Neigung, das Material auf den provokanten Effekt hin zuzuspitzen und darüber ungenau zu werden, haben nicht nur mißgünstige Kollegen, sondern aus eigener Erfahrung auch Hitler-Sekretärin Christa Schröder moniert. Trotzdem wurde er - als Enfant terrible zwar - noch in den achtziger Jahren zu Fernsehrunden geladen.

Im Oktober 1989 sagte er öffentlich die Wiedervereinigung Deutschlands binnen eines Jahres voraus. Der Erfolg der Prognose bestätigte ihn in jenem Sendungsbewußtsein, zu dem seine Dissidenz sich ausgewachsen hatte und das seinen Realitätssinn eintrübte. So prognostizierte er 1990 die Rückkehr der deutschen Ostgebiete binnen eines Jahrzehnts. In dem Maße, wie der Holocaust-Rekurs zur Zivilreligion geriet, fand bei Irving, der sich in die These verrannt hatte, Hitler habe die Juden nicht ermorden, sondern schützen wollen, eine zusätzliche Verhärtung statt. Die Grenzen seiner Narrenfreiheit verkennend, strengte er 1996 eine Klage gegen eine US-Holocaust-Expertin an, die ihn als Leugner desselben bezeichnet hatte. Der Prozeß geriet ihm zum juristischen, wissenschaftlichen und finanziellen Desaster.

Bereits als Irving 1990 das anarchische Interregnum zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung zu der Vortragsreihe "Ein Engländer kämpft für die Ehre der Deutschen" genutzt hatte, beklagte ein Altkader des einstigen SED-Organs Berliner Zeitung das "Rechtsvakuum" in der DDR: Irving drohe, "würde er solche Vorträge in der BRD halten, die sofortige Verhaftung. Österreich darf er schon nicht mehr betreten, ohne in Gewahrsam genommen zu werden." Längst herrscht wieder Ruhe im Land. Die DDR ist Teil der BRD geworden, besagter Journalist bildet eine starke Stütze seines zur Hauptstadtzeitung avancierten Blattes, und Irving sitzt in einem österreichischen Gefängnis ein.


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